So startete der Prater in die Saison
Von Nihad Amara
Karl Kolarik zelebriert den Saisonstart seines Schweizerhauses minutiös. Er steht vor dem Tor seines Gastgartens, hinter dem Maschendrahtzaun warten circa 300 treue Gäste. "Jetzt geht’s los", stimmt einer an, andere rufen im Chor mit. Der 68-Jährige blickt auf die Uhr – Schlag elf. Mit einem Handgriff ist das Ritual wie jedes Jahr perfekt: Kolarik öffnet das Tor zum beliebtesten Gastgarten der Stadt, der binnen Augenblicken dicht bevölkert ist. Der Akt steht gleich stellvertretend für den Saisonstart des Wiener Praters.
Minuten später stemmt Gerhard Drexler, 60, sein erstes Tableau in seiner 40. Saison. Krügerl reiht sich darauf an Krügerl, obendrauf die typische böhmische Schaumhaube, die so fest sitzt, dass sie auch dem kräftigen Wind trotzt. "Als ich angefangen habe, waren wir 14 Kellner. Heute sind es 75", erzählt er.
Zwar schmecken das Bier und die Stelze noch genauso einmalig wie früher, dennoch ist das Schweizerhaus längst ein moderner Gastrobetrieb. Ein Trend, der für den gesamten Wurstelprater und seine Umgebung steht.
Der Ruf der Prater-Gegend lockte früher viele bürgerliche Gäste, die in eine andere Welt eintauchen wollten. Strizzis, Huren, Lärm und grelle Lichter. "Lange", erzählt Sonja Soukup von der Prater Wien GmbH, die das Areal verwaltet, "ist der Prater auf dieses Publikum reduziert worden." Doch schon damals war vieles mehr Mythos als Realität.
Positives Image
Jetzt strebe man kein neues Image an, aber es solle "positiv aufgeladen werden". Der grüne Prater, ein Mekka für Läufer, sei nur ein Teil des Naherholungsgebietes. Der andere sei der Wurstelprater, der jährlich 4,2 Millionen Menschen anlockt und heuer mit neuen Attraktionen wie der "Zombies Geisterbahn" aufwartet. "So soll man den Prater zukünftig wahrnehmen", erzählt sie.
Neue Gestalt nimmt zunehmend die Umgebung des Vergnügungsparks an: Die Wirtschaftsuniversität kam hin, der Straßenstrich weg. Das Stuwerviertel mausert sich gerade zu einer angesagten Wohnadresse. Dazu kommen noch mehrere Immo-Projekte wie das Viertel Zwei, in dem die OMV ihre Zentrale hat.
Kolarik freut das. "Es gibt hier mehr Optimismus." Wandel sei eine Tradition im Prater, beginnend in der Monarchie über die Zwischen- und Nachkriegszeit bis heute. Der Prater bleibe aber ein Schmelztiegel, sagt er, so wie sein Haus. "Bei mir isst der Direktor neben dem Arbeiter", sagt Kolarik stolz.
Peter und Claudia Spiller lassen ihre Krügerl vor der Handy-Kamera klirren. Seit 30 Jahren startet Peter Spiller in die Schweizerhaus-Saison. Sein Tisch liegt heuer in "Mariahilf". Der Gastgarten ist nämlich in Wiener Bezirke unterteilt. "Heute ist es egal, dass ich ein Floridsdorfer bin", witzelt er.
Nur ein Gastgarten-Grätzl heißt anders. Direkt neben der stählernen Schank, in der unablässig Bier gezapft wird, ist der "Franz-Josefs-Bahnhof". Am "Bahnhof" hält Kellner Günter Reich, 57, um das goldgelbe Budweiser auf den Tischen "abzuladen". Vor 27 Jahren heuerte er hier an. "Am ersten Tag war es so anstrengend, dass ich davonlaufen wollte. Jetzt serviere ich lieber 17 Krügerln als zwei Kaffee."
Warum ist das Grätzl nach einem Bahnhof benannt? Angeblich, so schrieb es jemand, werden hier die meisten "Züge" genommen.
Wiener Prater
Größe: Das Areal des Wiener Praters umfasst sechs Millionen , der Freizeitpark Wurstelprater 260.000.
Projekte: Die WU, die Messe, das Austria Trend Hotel, die "neue" Krieau, das Immo-Projekt Viertel Zwei sind oder werden umgesetzt.
Aktuelles in Zahlen: 250 Attraktionen gibt es im Wurstelprater.4,2 Millionen Menschen sind jährlich zu Gast. 80 Betreiber sind im Freizeitpark tätig.