Chronik/Wien

"Schlüsselfigur der IS-Propaganda"

Der 34-Jährige Mirsad O. war für radikale Islamisten in Wien so etwas wie ein Popstar. Für den Staatsanwalt ist er hingegen eine "Schlüsselfigur der IS-Propaganda" (siehe Bericht unten). Denn unter dem Namen Ebu Tejma predigte er in der Altun Alem Moschee neben dem Wiener Prater und soll damit mehrere junge Männer als Kämpfer für die Terror-Miliz IS angeworben haben. Jetzt steht in Graz vor Gericht. Für den Staatsanwalt habe er auch mehrere Morde in Syrien zu verantworten. Die Taten soll der zweite Angeklagte, ein Russe, ausgeführt haben.

Weniger Zulauf

Im November 2014 konnte die Polizei Prediger Mirsad O. in Wien verhaften. In Graz sitzt er seither wegen seiner Verbindungen zur dortigen Dschihadisten-Szene in U-Haft. Für die radikale Szene in Wien war dies ein herber Rückschlag. "Bis jetzt hat noch kein Nachfolger von Mirsad O. einen derart populären Erfolg", sagt Islamismus-Experte und Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger.

Diesen Umstand führt der Experte aber nicht auf den Mangel von Nachwuchs-Predigern zurück, sondern erklärt ihn eher damit, dass Mirsad O. als charismatische Persönlichkeit seine Anhänger überzeugen konnte.

Der deutliche Zulauf in die Moscheen und vor allem das Interesse an radikalen Ansichten habe laut Schmidinger seit eineinhalb Jahren etwas abgenommen. Zwar wachse die Szene noch, aber nicht mehr in dem Ausmaß wie zuvor. "Das hat natürlich nicht nur mit der Verhaftung von Mirsad O. zu tun. Auch Misserfolge der IS-Miliz sind schlechte Werbung, um neue Leute zu rekrutieren", sagt Schmidinger.

Verfassungsschutz

Beim KURIER-Lokalaugenschein in der Leopoldstadt am Montag geht der Imam gerade aus den Räumen der Altun Alem Moschee, die in einem Wohnhaus im Keller angesiedelt ist. Nur ein kleines Schild über der Eingangstüre weist unauffällig auf das Gebetshaus nahe der Venediger Au hin. Dort predigte Mirsad O. lange Zeit. Dort soll er Osama Bin Laden gehuldigt haben. Die Moschee stand deshalb im Visier des Verfassungsschutzes.

Die Hand zur Begrüßung lehnt der Imam ab – muslimische Männer dürfen Frauen nicht berühren. Auf Nachfrage erklärt er aber bereitwillig, dass der Prozess um Mirsad O. eigentlich kein Thema unter den Gläubigen sei. Man konzentriere sich in der Moschee aufs Beten.

Ob die Anschuldigungen stimmen? "Es ist nicht richtig, dass jemand verhaftet wird, bevor eindeutig die Wahrheit bewiesen ist. Aber wenn es stimmt, dann wird sich das jetzt zeigen", erklärt der Imam, der anonym bleiben möchte.

Die Bewohner des gepflegten Altbaus möchten nichts zu der Moschee in ihrem Keller sagen. Man wisse zu wenig darüber und habe noch keine Schwierigkeiten mit den Muslimen gehabt.

Ähnlich ist die Situation am ehemaligen Wohnort von Mirsad O. in Wien-Donaustadt. Ein riesiger Wohnkomplex mit zwölf Stiegen und mehreren Etagen in jedem Haus, war bis zum Dezember 2014 die Heimat des Predigers. "Seine Frau und die gemeinsamen Kinder leben immer noch dort", erzählt eine Nachbarin, "aber man bekommt nicht viel von ihnen mit."

Obwohl Mirsad O. von Experten der Star-Status nachgesagt wird, dürfte er in seiner Nachbarschaft wenig aufgefallen sein. "Die Frau und die Kinder sind sehr nett. Ich kann nichts Schlechtes über die Familie sagen", so eine andere Hausbewohnerin. Thema sind die Anschuldigungen in der Gemeindebau-Idylle aber doch – nur wissen die meisten Bewohner nicht, was sie davon halten sollen, oder wollen sich gegenüber Medien nicht äußern.