Chronik/Wien

Rund 380.000 Wiener haben ein Alkohol-Problem

Ein Bier in der Mittagspause, drei nach der Arbeit, am Abend eine Flasche Wein und Schnaps: Für Hunderttausende Österreicher ihre tägliche Ration Alkohol.

Wie wenige tatsächlich die gesundheitlichen und psychischen Folgen von problematischem Trinken abschätzen können, zeigt sich oft erst in der Behandlung, betont Ewald Lochner, Wiener Koordinator für Sucht-, Psychiatrie- und Drogenfragen bei einem Medientermin am Dienstag. Fünf Prozent der Österreicher, also etwa 350.000 Menschen über 16 Jahre , gelten als alkoholkrank, weitere 14 Prozent sind suchtgefährdet.

In Wien – einer Großstadt, in der Alkohol leicht verfügbar ist – sind 100.000 Menschen alkoholkrank, 280.000 haben ein problematisches Konsumverhalten. Aus diesem Grund wurde vor zehn Jahren das Projekt „Alkohol. Leben können.“ ins Leben gerufen. Bei dem Konzept geht es nicht nur um den Alkoholkonsum der Menschen, sondern auch um die soziale Situation, die Familie, finanzielle Angelegenheiten, Beruf und auch die Wohnungssituation.

13.629 Patienten

Seit Projektbeginn im Jahr 2014 wurden bereits 13.629 Patienten behandelt und etwa 12.000 Maßnahmenpläne bewilligt. Vergleicht man diese Zahl mit den 100.000 Suchtkranken in Wien, erscheint diese Bilanz auf den ersten Blick eventuell nicht sonderlich positiv. „Aber nur weil jemand ein Suchtproblem hat, heißt das noch lange nicht, dass er es auch erkennt bzw. sich in weiterer Folge in Behandlung begibt“, sagt Lochner. Österreich sei im internationalen Vergleich nach wie vor ein Hochkonsumland.

Als Grenze für problematischen Konsum, ab der ein deutlich erhöhtes Gesundheitsrisiko vorliegt, wird für Männer üblicherweise ein Wert von 60 Gramm Alkohol pro Tag angegeben, für Frauen 40 Gramm. Das entspricht 1,5 (beziehungsweise 1) Liter Bier täglich.

Das Projekt „Alkohol. Leben können.“ vernetzt verschiedene Akteure, um den Betroffenen ein gesünderes Leben zu ermöglichen und sie auch in das gesellschaftliche Leben zu integrieren.

„Eine gesunde Menge Alkohol gibt es nicht, denn Alkohol ist ein Zellgift. Eine frühzeitige Abklärung und Behandlung ist daher entscheidend“, betont die ärztliche Leiterin der Suchthilfe Wien, Regina Walter-Philipp. In der zentralen Anlaufstelle, dem regionalen Kompetenzzentrum, werden die Behandlungspläne erstellt. „Erforderliche bürokratische Hürden werden ebenfalls vom regionalen Kompetenzzentrum erledigt, das Angebot ist sehr niederschwellig“, so Walter-Philipp.

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Projekt wissenschaftlich evaluiert

Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat das Programm in den letzten Jahren auch wissenschaftlich begleitet und regelmäßige Evaluationen durchgeführt. „Man kann sagen, dass das Projekt Menschen früh genug erreicht, um höhere Kosten für das allgemeine Gesundheitssystem zu vermeiden“, sagt Siegfried Eisenberg von der Forschungsgruppe Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik des IHS. 

Pro Patient fallen auf einen durchschnittlichen Behandlungszeitraum von 18 Monaten gerechnet rund 10.000 Euro an, ergänzt Lochner.

Die Studie des IHS hat zudem ergeben, dass es bei rund 40 Prozent der Betroffenen zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes kam, bei 53 Prozent im Konsumverhalten. „Außerdem kommt es langfristig gesehen zu weniger Krankenständen, die Patienten sind rascher wieder erwerbstätig oder erwerbsfähig“, ergänzt Martin Heimhilcher, Vorsitzender des Landesstellenausschusses der ÖGK in Wien. Die Patienten, die das Programm durchlaufen, gehen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die konventionelle Therapien in Anspruch genommen hat, im Schnitt auch drei Jahre später in Pension.