300 km/h im Kaisermühlentunnel
300 Stundenkilometer im Wiener Kaisermühlentunnel sind leicht zu erreichen. „Die Section-Control ist kein Problem“, erklärt Motorradfahrer Alan, 26, und schmunzelt. „Wenn ich in den Tunnel hineinfahre, einfach die erste Auffahrt hinauf und dort warte ich eine halbe Minute. Danach kann man auf der Rampe durchziehen. Die Section-Control misst ja nur den Durchschnitt.“ 305 km/h fährt sein getuntes Bike. Das geht sich aus in der Röhre, es gibt Videos davon. „Ich bin aber nicht so blöd, das auf YouTube zu stellen, die Polizei schaut dort ja auch mit“, meint der 26-Jährige.
Vergangene Woche ist einer aus ihrer Mitte gestorben. Dejan ist auf dem Heimweg nach Serbien mit mehr als 240 km/h gegen einen Lkw geprallt. Die Roadrunner haben Kerzen aufgestellt, ihm zu Ehren wurden mit den Bikes mehrere „Gedenk-Wheelies“ gefahren. Man muss ihre Welt nicht verstehen oder tolerieren, aber die Szene ist zumindest familiär. „Wir schauen auch auf die Jüngeren, damit sie nicht zu viel Blödsinn machen“, sagt Alan.
Die Seite des Gesetzes
Internationale Szene
Für die Roadrunner gebe es jedenfalls eine Lösung, meinen sie unisono: „In Ungarn und der Slowakei haben sie Rennstrecken, wo jeder fahren kann, wie er will. Bei uns gibt es das nicht, deshalb müssen wir auf die Straße.“
Bis dahin wird die Verkehrspolizei dem Motto von Oberstleutnant Landau folgen: „Strafen, strafen, strafen. Das ist das Einzige, was nützt bei dieser Klientel.“
Verkehrspsychologe Gregor Bartl hat 70 Studien – vor allem über junge Autolenker – erstellt. Er ist Mitinitiator der Mehrphasenausbildung, leitet die Fahrlehrerausbildung und gründete das Institut alles-fuehrerschein.at. Außerdem ist er Mitglied im Beirat des Verkehrssicherheitsfonds.
KURIER: Warum fahren gerade junge Menschen solche Straßenrennen?
Gregor Bartl: Wir reden hier zunächst einmal von einer zutiefst männlichen Sache. Das betrifft leider nur uns Männer. Das Leben ist als Jugendlicher eine Baustelle: der Beruf ist noch unklar, die Freunde ändern sich und der Körper entwickelt sich. Die Sexualität wird zu einem wichtigen Trieb und das kann man eben auch mit einer Maschine ausleben statt im Bett.
Welche Altersstufe betrifft das speziell?
Gerade in die gefährlichste Zeit der Adoleszenz zwischen 14 und 20 Jahren fällt der Führerscheinerwerb. Zu diesem Zeitpunkt stellt man als Jugendlicher alle Regeln infrage.
Auffällig viele Migrantenkinder der zweiten Generation sind heute unter den Schnellfahrern zu finden. Was ist der Grund dafür?
Das ist ein sehr heikles Thema, aber bei uns in den Nachschulungen sehen wir vor allem zwei Ursachen. Einerseits kommt für sie noch eine weitere der zuvor angesprochenen Baustellen dazu. Denn sie sind noch nicht richtig in unserer Kultur drinnen und aus ihrer noch nicht ganz weg. Außerdem kommt in manchen, sehr stark religiös beeinflussten Fällen ein ausgeprägter Kismet-Glaube dazu. Es ist schwierig, wenn alles vorbestimmt ist, die Regeln des Straßenverkehrs eigenverantwortlich ernst zu nehmen.