Chronik/Wien

Rat mal, wer zur Pfändung kommt

Ich bin der Mann an der Front und natürlich bin ich meistens nicht gerne gesehen. Schließlich sind das keine Freundschaftsbesuche. Aber ich glaube, dass ich in meinem Sprengel nicht als der böse Mann gesehen werde", sagt Wolfgang N. und lächelt freundlich. Dass seine berufliche Tätigkeit bei den "Kunden" keine große Begeisterung, sondern oft sogar Aggressionen auslöst, gehört für ihn zum Alltag. Denn seine Aufgabe ist es, säumige Schuldner zu suchen, zu finden und zum Zahlen zu bringen. Er ist einer von 150 Gerichtsvollziehern, die in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland auf der Jagd nach dem ausständigen Geld sind. 50.000 Akte werden monatlich bearbeitet.

N. ist mit mehr als 30 Dienstjahren ein Routinier und hat schon viel erlebt. Hat sich der Berufsalltag des Exekutors im Laufe der Zeit verändert? "Es hat sich schon gewandelt. In den letzten zwei bis drei Jahren habe ich so viele Polizeieinsätze gehabt, wie in den 30 Jahren zuvor nicht. Die Gewaltbereitschaft ist gestiegen. Erst letzte Woche hat mich einer mit einem Holzprügel verfolgt", sagt der Gerichtsvollzieher. Schwere Verletzungen gab es aber noch nie und gefährdet sieht er sich auch nicht: "Ein einziges Mal habe ich eine Watschen bekommen. Rempeleien gibt es fast jeden Tag, aber wenn man da jedes Mal gleich die Polizei ruft, ist man für den Job nicht geeignet. Man muss ausloten und wissen, wie weit man gehen kann." In kritischen Fällen verlässt er sich lieber auf sein Gefühl und seine Erfahrung. "Mit Polizei eskaliert die Situation oft sogar leichter. Ich hatte einen Fall, wo illegaler Waffenbesitz vermutet wurde. Die Wega rückte an, die Straße wurde abgesperrt, das Haus umzingelt. Es war wie im Film. Der Mann war dann aber gar nicht zu Hause, sondern nur die Großmutter mit zwei Kindern."

Die finanzielle Bandbreite ist groß. "Das fängt bei fünf Euro an, wenn etwa eine Strafe nicht komplett bezahlt wurde und geht bis in Millionenhöhe." Norm sind kleine Beträge. Die aber in Massen: "Letztes Jahr bin ich sicher auf eine Million gekommen", sagt er. Unterschiedlich ist auch die Zahlungsmoral: "Manche wollen nicht zahlen, weil das in ihren Augen nicht rechtens ist. Aber das entscheide ja nicht ich, sondern es gibt ein Urteil, einen Rechtstitel. Viele zahlen auch ganz brav, bei vielen ist aber einfach nichts mehr zu holen. Da wird dann ein finanzielles Loch gestopft und ein anderes tut sich wieder auf. Manche kenne ich seit Jahrzehnten, oft von klein an."

Spürsinn gefragt

Das Problem ist oft, überhaupt an den Schuldner zu kommen. "Da muss ich Detektiv sein. Ich geh fast immer gleich in der Früh zu den Wohnungen. Da trifft man am ehesten jemanden an. Abends ist nicht so gut – da sind etliche schon betrunken." Nützt alles gute Zureden nichts, bleibt nur die Versteigerung, der berühmte Kuckuck. Dass die bisherigen Besitzer von der Auktion in ihrer Wohnung nicht begeistert sind, ist klar. "Mit etwas Gegenwehr muss man schon rechnen. Einer hat einen Fernseher vor unseren Augen zertrümmert. Wenn er ihn nicht mehr haben kann, sollte ihn auch kein anderer haben." Gepfändet wird auch an ungewöhnlichen Orten zu ungewöhnlichen Zeiten. Etwa bei einer Hochzeit: "Das Fest war vom Feinsten, aber zum Pfänden haben wir nichts gefunden."

Leuten, die meist nichts mehr haben, Geld abzunehmen, kann auch ans Gemüt gehen. "Ich sehe es als Amtshandlung, aber manchmal geht es mir schon nahe. Vor allem, wenn Kinder betroffen sind. Wir bieten Ratenzahlungen und andere Lösungen an. Aber meist kann man den Leuten nicht helfen. Die wenigsten kommen aus dem Schuldensumpf wieder raus."

Statistik: 1,6 Millionen Exekutionen jährlich in Österreich

Ob eine Exekution durchgeführt wird oder nicht, liegt natürlich nicht im Ermessen des Gerichtsvollziehers. Wird eine geschuldete Summe nicht gezahlt, kann der Gläubiger – das kann ein Privater oder auch die Behörde sein – einen Exekutionsantrag beim zuständigen Bezirksgericht einbringen. Bei Exekution wegen Geldforderungen sind Gehaltsexekutionen am häufigsten. Der Arbeitgeber zahlt nur mehr das Existenzminimum aus, der Rest dient der Tilgung der Schulden. Auch Liegenschaften können "Opfer" einer Exekution werden. Nur wenn eine Zwangsvollstreckung auf bewegliche Sachen vom Gericht beschlossen wird, kommt der Gerichtsvollzieher ins Spiel. Wertgegenstände werden mit dem "Kuckuck" versehen und versteigert. Ausgenommen sind Gegenstände des täglichen Gebrauchs, aber auch Familienfotos oder Haustiere.

Insgesamt gab es in Österreich im Vorjahr 1,635.565 Exekutionen. Auf Wien, NÖ und das Burgenland entfielen 785.536. Den größten Teil mit 414.283 Fällen machten die Fahrnisexekutionen aus – die Pfändung von beweglichen Gegenständen. Hier tritt in vielen, aber nicht allen Fällen ein Gerichtsvollzieher auf. Forderungsexekutionen (meist Gehaltspfändungen) gab es im Vorjahr 351.612, Räumungen 8878 und Zwangsversteigerungen 2886.