Chronik/Wien

Prozess um Messerstecherei: Freispruch aufgrund von Notwehr

Fünf Stunden haben die Geschworenen am Mittwoch benötigt, um einen 34-Jährigen mit 7:1 Stimmen am Wiener Landesgericht vom Mordvorwurf freizusprechen. Mit 5:3 Stimmen billigten die Laienrichter dem Kosovaren zu, in Notwehr gehandelt zu haben, als er am 8. Dezember 2016 in einer Favoritner Bar einen gleichaltrigen Polen erstochen und dessen Landsmann schwer verletzt hatte.

Da die Staatsanwältin keine Erklärung abgab, ist das Urteil nicht rechtskräftig. Der Angeklagte wurde vom Richtersenat unter dem Vorsitz von Stefan Apostol sofort enthaftet und konnte als freier Mann das Straflandesgericht verlassen.

Ungewöhnlich für einen Prozess war, dass eine Überwachungskamera das gesamte Geschehen aufgezeichnet hatte. Das Video wurde den Geschworenen im Großen Schwurgerichtssaal vorgeführt. Darauf war zu sehen, wie der Angeklagte sein Messer zückte, ohne dass er angegriffen worden wäre. Bei der folgenden Rauferei stach der Kosovare dem 34-jährigen Polen sieben Mal in den Oberkörper. Dieser starb noch an Ort und Stelle. Sein 37 Jahre alter Landsmann kassierte Stiche in den Rücken und in den rechten Unterarm. Der Angeklagte behauptete, er habe aus Angst vor seinen Kontrahenten, mit denen es bis dahin allerdings zu keinem offenen Streit gekommen war, zum Messer gegriffen.Beide Polen hatten an diesem Abend sehr viel getrunken. Der Getötete wies fast 2,5 Promille, sein Freund sogar vier Promille auf. Beide verhielten sich aggressiv, wie auf dem Film zu sehen war. Der 34-Jährige soll gegenüber der Kellnerin sinngemäß geäußert haben, er würde den Kosovaren, mit dem sie ein Verhältnis hatte, umbringen. Die Frau versuchte des öfteren, den Mann zu beruhigen.

Als das Duo offensichtlich das Lokal verlassen wollte, stand der Angeklagte auf, klappte sein Messer auf und forderte die Polen, die bereits ihre Jacken angezogen hatten, zum Gehen auf. Sofort entwickelte sich eine wüste Schlägerei, die verhängnisvoll endete.

Verteidiger Mirsad Musliu (Kanzlei Nikolaus Rast) forderte die Geschworenen auf, das Video wieder und wieder anzusehen: "Wer schaut wen wann wie an? Das ist die Relevanz in diesem Verfahren. Welcher Mörder wartet? Welcher Mörder versucht, vorher zu kalmieren, sagt geh, geh raus? Das ist kein Mord, das ist Notwehr."

Der Angeklagte meinte, er habe bemerkt, dass die beiden Männer immer aggressiver wurden, vor allem der Kellnerin gegenüber: "Die beiden hatten sicher mitgekriegt, dass wir eine Beziehung haben." Er hätte unglaubliche Angst bekommen. "Ich hab ihr Gesicht gesehen, da war auch nur Angst, und dann hat sie angefangen zu weinen." Er hätte nur zeigen wollen, dass er ein Messer hatte. "Ich bekam sofort einen Faustschlag, mir war schwindlig, einer sagte 'Totmachen'. Ich dachte, das ist die letzte Sekunde meines Lebens."

Richter Stefan Apostol fragte während der Videovorführung: "Man sieht, dass die beiden eigentlich im Begriff waren zu gehen. Warum sind Sie nicht einfach sitzen geblieben?" "Angst. Angst auch um Veronika. Ich wollte die nur draußen haben", erwiderte der Angeklagte. Die Kellnerin wiederum meinte bei ihrer Aussage, sie habe um sich selbst keine Angst gehabt.

Der überlebende Pole konnte sich - angesichts der enormen Alkoholisierung - im Zeugenstand nur an wenig erinnern. Eingeprägt hatte sich ihm lediglich, wie sein Freund seinen Oberkörper mit beiden Armen umfasste und "Hilf mir" sagte. Die Wahrnehmung zweier weiterer Gäste differierte, hauptsächlich da beide kein Polnisch verstehen. Ein ältere Dame beschrieb die Polen als sehr aggressiv und hatte das Gefühl, "dass es Notwehr war". Ein gestandener Favoritner wiederum interpretierte das Geschehen als eine Diskussion um die Zeche. "Die haben nicht lauter geredet als wir beide jetzt", meinte er zum Richter. Als die Rauferei begann, "hab' ich mich zur Palme verdrückt" - nicht, ohne auch sein Getränk mit in Sicherheit zu bringen.