Chronik/Wien

Polizeigewalt: Amnesty pocht weiter auf unabhängige Ermittlungsstelle

Auch acht Monate nach der Demo am 1. Mai, bei der es zu massiven Ausschreitungen und einem umstrittenen Polizeieinsatz gekommen ist, sorgt das Vorgehen der Beamten nach wie vor für Diskussionen. Bei der Kundgebung marschierten knapp 1.700 Menschen von der U-Bahn-Station Ottakring in die Wiener Innenstadt. Die Abschlusskundgebung fand im Sigmund-Freud-Park statt.

Nach einem Gutachten von Menschenrechtler Philipp Sonderegger erhebt Amnesty International nun massive Vorwürfe und sieht durch die Vorkommnisse zwei Menschrechte berührt: Die Versammlungsfreiheit und das Misshandlungsverbot.

Mindestens acht Fälle von "unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung" werden in diesem Gutachten dokumentiert. "Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Polizei Mitverantwortung trägt an der Eskalation. Wenn sie sich an die internationalen Standards gehalten hätte, dann hätte diese möglicherweise verhindert werden können", meint Sonderegger, der rund zwölf Fälle zählt, in denen eben diese internationalen Standards missachtet wurden.

Polizei ortet kein Fehlverhalten

Seitens der Exekutive sieht man hinsichtlich des Verhaltens der Beamten kein Fehlverhalten. "Rückwirkend betrachtet würden wir nichts anders machen. Wir haben stets versucht, die Grundrechte der Menschen zu wahren, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu schützen und auf der anderen Seite entschieden gegen Ausschreitungen vorzugehen", erklärte Polizeipräsident Gerhard Pürstl nach den Vorfällen in der Kronen Zeitung.

Ausgangspunkt dürfte der Einsatz von Pfefferspray eines Zivilpolizisten gewesen sein, den die Demonstranten für einen Rechtsextremen hielten. Daraufhin entwickelten sich chaotische Szenen. Während Amnesty von einem "massiven Fehlverhalten" der Polizei während des Einsatzes spricht, sah der damalige Innenminister und heutiger Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) "die Eskalation von den gewaltbereiten Angreifern herbeigeführt".

Der Einsatz von Pfefferspray erfolgte auf Grundlage des Waffengebrachsgesetzes und war notwendig, da sich der Beamte in einer akuten Notwehrsituation befand und von seinem persönlichen Recht auf Notwehr Gebrauch machte, erklärt Nehammer in einer parlamentarischen Anfrage des Vorjahres.

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Sonderegger kritisiert auch die "taktische Kommunikation". Insbesondere wenn die Polizei Zwangsmittel einsetze, müsse sie diese gut verständlich bekanntgeben. Als ein Fahrzeug der Polizei das Geschehen verlassen wollte, erfolgte laut Sonderegger keine Durchsage, sondern die Teilnehmer wurden mit Sperrketten weggedrängt.

"Das war auch der Ausgangspunkt dafür, dass die Polizei mit Flaschen beworfen wurde. Jetzt kann man nicht behaupten, dass eine Durchsage die Eskalation zwingend verhindert hätte, aber es hätte einen gewissen Teil gegeben, der eine informierte Entscheidung getroffen und die Straße verlassen hätte", meint Sonderegger.

Polizeigewalt ohne Folgen

Ein großer Kritikpunkt von Amnesty ist das "Klima der Straflosigkeit", wie Teresa Exenberger, Juristin bei Amnesty International es nennt. "Misshandlungsvorwürfe werden in der Regel nicht wirksam untersucht. Polizeigewalt bleibt für die Täter, also für die Polizeibeamten, oftmals folgenlos."

Das zeige eine Studie von ALES (Austrian Center for Law Enforcement Sciences), die ergeben hat, dass Misshandlungsvorwürfe in Österreich gegen Polizeibeamte fast nie zu einer Anklage führen. Es sei ein Problem, "dass Polizisten gegen ihre eigenen Kollegen ermitteln". Das führe zu Interessenskonflikten, weil sich die Beamten in den Verfahren gegenseitig decken würden.

Eine Problematik sieht Amnesty auch darin, dass Betroffene im Falle einer Anzeige mit einer Gegenanzeige durch die Polizei rechnen müssen. "Das heißt die Betroffenen können in gewissen Situationen weder davon ausgehen, dass die Vorwürfe wirksam untersucht werden, noch dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Vielmehr müssen sie mit einer Gegenanzeige mit dem Vorwurf der Verleumdung rechnen", sagt Exenberger.

Die zuvor erwähnte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Behörde in zehn Prozent der Fälle mit einer Gegenanzeige reagiert hat.

Unabhängige Ermittlungsstelle

Die Lösung sieht Amnesty in der Einrichtung einer unabhängigen Ermittlungs- und Beschwerdestelle. Eine solche hat sich auch die türkis-grüne Bundesregierung zum Ziel gesetzt, da sie die "Sicherstellung einer konsequenten Aufklärung bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte" auch in ihrem Regierungsprogramm verankert hat.

"Österreich auch schon mehrfach von den Vereinten Nationen oder vom Europarat aufgefordert worden, eine derartige unabhängige Ermittlungsstelle zu errichten", sagt Exenberger. Ein Konzept zu dieser unabhängigen Stelle wurde bereits für Herbst 2020 angekündigt und eine Umsetzung für 2021 angepeilt. Stand heute gibt es diese Stelle noch nicht.

Auf Nachfrage des KURIER im Innenministerium heißt es dazu: "Die Arbeitsgruppe hat mehrere Konzepte vorgelegt, die sowohl in der Arbeitsgruppe, als auch anschließend auf politischer Ebene zwischen den Regierungsparteien diskutiert werden müssen." Es dürfte demnach noch dauern, bis die geforderte Ermittlungsstelle ihre Arbeit aufnehmen kann.

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