Chronik/Wien

Sonja Wehsely: "Patienten in Geiselhaft"

Es ist kein ganz einfacher Abend für Wiens Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ). Zu deutlich ist auch beim KURIER-Gesundheitstalk Montagabend der Frust von Patienten, aber auch Ärzten über die Missstände im Wiener Gesundheitswesen zu spüren.

"Würden wir jeden Politiker so behandeln wie jeden anderen Patienten, würde sie endlich realisieren, wie schlecht es mit dem Gesundheitssystem steht", bringt es ein Spitalsanästhesist im Publikum auf den Punkt.

Der Abend im Raiffeisen-Haus ist fast zu kurz, um die Liste aller aktuellen Baustellen im Gesundheitssystem abzuhandeln. Etwa lange Wartezeiten auf Arzttermine, zu wenige Ordinationen oder die Probleme um die Arbeitszeit-Verkürzung in den Spitälern: "Die personell schlecht ausgestatteten Abteilungen geraten damit noch mehr unter Druck. Die guten Ärzte werden gehen", lautet der Befund von Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer. Die Patienten würden nur noch mehr in die Privatmedizin ausweichen.

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Wehsely lässt sich das Wiener Spitalswesen nicht krankreden: "Natürlich gibt es Verbesserungspotenzial, etwa bei den Wartezeiten. Aber jeder, der krank ist, kann in ein Wiener Gemeindespital gehen und ist dort bestens aufgehoben. In anderen Städten Europas ist das nicht mehr gegeben." Doch um dieses Niveau zu erhalten, brauche es eben auch strukturelle Reformen. Wehsely findet es "nicht fein", dass in der aktuellen Debatte "die Patienten in Geiselhaft genommen werden" und spielt damit auf die Proteste der Ärztekammer gegen Reformen und Projekten wie ELGA an.

Leid der Ärzte

"Wir sind nicht die Beharrer", kontert Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart. "Aber wir sind diejenigen, die jeden Tag bei den Patienten sind. Trotzdem hört man uns nicht zu, wenn es um die Planung des Gesundheitssystems geht. Deshalb sind die Kollegen frustriert. Die Stimmung ist fürchterlich."

Aktuelles Beispiel sei etwa das umstrittene Mystery Shopping. Dabei schicken die Krankenkassen Testpatienten mit falschen Identitäten in Ordinationen, um Ärzten etwaige Malversationen nachzuweisen. "Jeder Kriminelle hat mehr Rechte als die betroffenen Ärzte", wettert Steinhart unter großem Applaus aus dem Publikum.

Dort sitzen viele Ärzte aus den Gemeindespitälern, die ihrem seit Monaten aufgestauten Unmut über die laufenden Einsparungen freien Lauf lassen. "Von 2014 bis 2015 sind bei uns die Operationen um 25 Prozent zurückgegangen", sagt etwa eine Personalvertreterin aus dem Donauspital. "Gleichzeitig wird im Krankenhaus Nord das Geld in den Sand gesetzt."

"Ich würde gerne wissen, wo im Krankenhaus Nord der Skandal ist. Ich bin überzeugt, dass das modernste Spital Europas im Kostenrahmen und zeitlich wie geplant fertiggestellt wird", kontert Wehsely. Zur Verteidigung des umstrittenen Spitals, das derzeit der Rechnungshof prüft, hat sie dessen interimistische Ärztliche Leiterin Silvia Schwarz mitgebracht. "Ich bin erstaunt, dass eine so gute Sache so schlechtgeredet wird."

"Nichts passiert"

Dass umfassende Reformen nötig sind, dass besonders die Patientenversorgung außerhalb der Spitäler ausgebaut werden muss, sind sich indes alle drei Gäste am Podium einig. "Das Gesundheitssystem braucht eine Finanzierung aus einer Hand", lautet Pichlbauers Rezept. "Alle Entscheidungsträger müssen sich einer gemeinsamen Strategie unterwerfen. Dafür müssen sie aber auch einen Machtverlust in Kauf nehmen. Und deshalb passiert nichts."