Mein Geschäft: Herr Wurzer gibt Halt
Von Anna-Maria Bauer
Thomas Wurzer nimmt das schmale Stück Leder, das er zuvor gestanzt hat. Er spannt es in die Spindelpresse ein, schiebt den Hebel nach links und präsentiert Sekunden später eine gebogene Lederschlaufe.
Sie wird nach Vollendung der rund 30 Arbeitsschritte am unteren Ende eines Hosenträgers hängen.
Es sind Tätigkeiten, wie man sie in Wien kaum noch findet: Denn die Firma Karlinger ist eine der letzten Hosenträgerschneidereien der Stadt. In einer Hinterhofwerkstatt in Wien-Alsergrund fertigt Thomas Wurzer mit seinem kleinen Team einerseits Gürtel, andererseits Hosenträger.
Taxitänzer und Sänger
Er produziert auch die roten Hosenträger der Taxitänzer, die türkisfarbenen der berühmten Wiener Cheerleader-Gruppe „Fearleaders“. Und auch jene, die auf der Bühne der Staatsoper oder des Theaters an der Josefstadt getragen werden. Vor allem Sänger würden ja gerne Hosenträger tragen, um den Bauch – der quasi ihr Resonanzkörper ist – nicht mit einem Gürtel beengen zu müssen.
Beim Betreten der Werkstatt in der Alser Straße strömt einem der Duft von Leder entgegen. Mitarbeiterin Nadire ist über die Nähmaschine gebeugt, näht Klipse auf bunte Hosenträger. („Die sind unser Geheimnis“, sagt Thomas Wurzer, „die Super-Klips, die extrem gut an den Hosen halten.“) Ihre Kollegin Adriana hält schwarze, naturgegerbte Lederbänder unter die Stanzmaschine, um so die Löcher für den Gürtel zu schaffen. Um sie herum türmen sich Hunderte Rollen Bänder und Dutzende Bögen Leder. Dazwischen: Metallschnallen oder Bronzeabzeichen.
Die Räumlichkeiten kennt Thomas Wurzer, seit er denken kann; das Holz der Bodendiele knarrt wie damals und auch der süßlich-herbe Gerüche ist der gleiche.
Dabei war es eigentlich nie sein Plan, die Werkstatt zu übernehmen. „Wie so viele, wollte ich nie das tun, was der Papa macht“, sagt er und lacht. Während seines Wirtschaftsstudiums begann er dennoch, seinen Vater immer mehr zu unterstützen. Bis dieser verkündete, in Pension zu gehen. Also beschloss Thomas Wurzer, sich das Geschäft ein, zwei Jahre anschauen. Das war 2008.
Der Moment, es sich zu überlegen, kam dann nie: „Ich kann mir keinen besseren Beruf vorstellen.“
Aus einer Schuhfabrik
Die Firma war Mitte des 20. Jahrhunderts übrigens auf besonderem Weg in Familienbesitz gekommen: Wurzers Großmutter war damals Schneiderin, ihr Mann Polizeiinspektor im 7. Bezirk. Er kam häufig bei einer Schuhfabrik vorbei und ihm fiel auf, wie viel Leder dort weggeschmissen wurde. „Das ist schade“, sagte er zu seiner Frau, „da könnte man doch noch gute Teile daraus stanzen.“ Und so begann Thomas Wurzers Großmutter das zu tun. Die Lederstücke verkaufte sie an die Hosenträger-Firma Karlinger. Und die Besitzer waren von ihrem Fleiß so begeistert, dass sie ihr nach einigen Jahren anboten, die Werkstatt zu übernehmen.
Die Formen und der Schlegel, mit dem sie die Lederreste stanzte, hängen noch heute in der Werkstatt.
Die Hosenträger sind zwar definitiv das Alleinstellungsmerkmal der Firma: Von den 30.000 Stück Accessoires, die sie im Jahr produzieren, sind ein Großteil dennoch Gürtel. Die aktuelle Modefarbe sei Cognac. „Das passt gut zu den marineblauen Anzügen, die auch im Trend sind“, sagt Wurzer. Apropos im Trend: Auch Hosenträger werden zuletzt vermehrt nachgefragt.
Trotzdem: „Man darf nie stehen bleiben, muss sich immer neu erfinden.“ Für das kommende Jahr arbeitet Thomas Wurzer deshalb bereits an einer neuen Kollektion – nur für Frauen.
Info
Handarbeit Die Manufaktur Karlinger wurde 1947 gegründet und fertigt Hosenträger sowie Gürtel für den Einzel- und Großhandel.
Termine gibt es Montag bis Donnerstag zwischen 7 und 16 und Freitag von 7 bis 12 Uhr. Zu finden sind die Modeaccessoires vordergründig in gut sortierten Herrenfachgeschäften.
Weitere Infos zu den Produkten gibt es unter hier.