Chronik/Wien

Vassilakou: „Wir regen uns in Wien wirklich gern über alles auf“

KURIER: Frau Vizebürgermeisterin, viele Wiener verstehen nicht, dass in Zeiten wachsender Armut so massiv in den Ausbau des Radverkehrs investiert wird. Werden hier nicht die falschen Prioritäten gesetzt?

Maria Vassilakou:Es werden die goldrichtigen Prioritäten gesetzt. Die Stadt investiert jährlich rund 100 Mio. Euro in die Verkehrsinfrastruktur. Der Löwenanteil kommt nach wie vor dem Autoverkehr zu gute. In einer Stadt mit immer mehr Radfahrern ist aber es nötig auch Maßnahmen zu setzen, damit sie ihren Platz im Verkehr finden. Es geht hier um Sicherheit. Da ist kein Cent zu viel. Aber bei der Debatte um die farbigen Radwege habe ich schon gedacht: Wir regen uns in Wien wirklich gerne über alles auf. Aber ich bleibe zäh. Zur Bekämpfung der Armut: Wir haben den Gratiskindergarten, die höchste Mindestsicherung. Die Stadt baut jedes Jahr mehrere Tausend geförderte Wohnungen. Rot-Grün hält die Hand über die Gemeindewohnungen, damit sie nicht verscherbelt werden.

Die grüne Klientelpolitik im Bereich Verkehr sorgt vor allem bei der roten Basis für Ärger. Rüsten Sie sich schon für ein raueres Koalitionsklima in der zweiten Regierungshalbzeit?

Unsere Verkehrspolitik ist keine grüne Klientelpolitik, wie ein Blick in andere Städte zeigt. So hat der konservative Londoner Bürgermeister Boris Johnson eine Milliarde für den Radverkehr in die Hand genommen. In der SPÖ sehe ich viele Kräfte, die diesen Weg unterstützen. Gäbe es die nicht, wären wir nirgendwo hingekommen. Oder glaubt jemand, ich hätte alle Verkehrsmaßnahmen erzwungen?

Wo sehen Sie die größten Konfliktpotenziale innerhalb der Regierung?

Nach wie vor bei der Wahlrechtsreform. Aber wir werden vor der nächsten Wien-Wahl eine Lösung finden.

In Salzburg regiert eine Koalition zwischen ÖVP, Grünen und Team Stronach. Für Sie auch im Bund eine denkbare Option?

Nein. Stronach ist gegen den Euro und für beträchtliche Steuerprivilegien für sehr Reiche. Das sind zwei Kernbereiche, die für die Grünen undenkbar sind. In Salzburg stellen sich diese Fragen nicht: Das Land kann nicht die Wiedereinführung des Schillings beschließen.

Zuletzt wurde in Wien gegen und vor allem für den türkischen Premier Erdogan demonstriert. Ist es nicht alarmierend, wenn Tausende türkischstämmige Wiener für eine Politik auf die Straße gehen, die mit den westlichen Grundwerten nur schwer vereinbar ist?

Ich finde das nicht alarmierender als den Umstand, dass 27 Prozent der Wiener bei der letzten Wahl Strache unterstützt haben. In einer demokratischen Metropole wie Wien müssen wir damit leben, dass es viele Strömungen gibt – auch solche, die uns allen nicht gefallen. Ich bekämpfe aber entschieden Strömungen, die Politik mit Religion vermengen.

Der grüne Bundesrat Efgani Dönmez empfahl den Erdogan-Unterstützern ein One-way-Ticket nach Hause.

Diese Aussage war indiskutabel. Ich habe mit Erleichterung registriert, dass es hier eine Entschuldigung gab. Niemand wird glauben, dass das die Meinung der Grünen ist. Einzelmeinungen wird es immer geben.