Chronik/Wien

"Bin ein Krüppel, weil ich Käse aß"

Andreas Peilowich war ein Lebemann. Der erfolgreiche Pharma-Manager und Mediziner liebte Motorräder und flog rund um die Welt. Und er war ein ordentliches Mannsbild. „Ich bin mit 100 Kilo eingeschlafen“, sagt er. „Aufgewacht bin ich mit 48. Ich war nur mehr Haut und Knochen.“

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Heute sitzt der 57-Jährige im Rollstuhl. Das Sprechen fällt ihm schwer, er leidet unter Sehstörungen. „Ich bin ein Krüppel, der Blöde im Rollstuhl – nur weil ich Käse gegessen habe“, sagt er zornig. „Ist das noch ein Leben?“

Bewusstlos

Es war der Jahreswechsel 2009/’10. Peilowich war in seiner Wiener Wohnung, hatte ein paar Tage zuvor Quargel gegessen. Zu Silvester ging es ihm plötzlich schlecht, er bekam hohes Fieber. „Ich leg mich hin, mir geht’s nicht gut“, sagte er zu seinem Vater am Telefon. Dann ist die Erinnerung weg. Erst Tage später wurde Peilowich bewusstlos in seiner Wohnung gefunden.

Eine Bekannte, mit der er spazieren gehen wollte, machte sich Sorgen, als der Manager nicht auftauchte und nicht erreichbar war. Die Frau ging zur Wohnung – vor der Tür stapelten sich die Zeitungen. Auf Klopfen und Läuten reagierte niemand. Sie alarmierte die Einsatzkräfte, die schließlich die Tür zur Wohnung des Mannes öffneten.

„Am Anfang haben alle geglaubt, er hatte einen Schlaganfall“, erzählt Vater Eduard Peilowich. Erst Tage später fiel die richtige Diagnose: Listeriose, eine hochgefährliche bakterielle Infektion. Eine Gehirnflüssigkeitsprobe, mit der man den Erreger-Stamm hätte herausfinden können, wurde im Krankenhaus genommen. „Aber die ist verschwunden. Weil das Personal überarbeitet war“, schüttelt der Vater ungläubig den Kopf.

Käse vernichtet

Und: Wenige Tage nach der Einlieferung des Managers ins Spital, kam ein Anruf. „Wir sollten alle Lebensmittel aus dem Kühlschrank entfernen und ihn mit Essigwasser auswaschen“, erinnert sich Eduard Peilowich. Zwei Tage später einer neuerlicher Anruf: „Da sollten wir den Käse, der im Kühlschrank ist, vorbeibringen.“ Doch der war schon längst entsorgt.

Drei Monate lang lag der Manager im Koma. Die Organe versagten. Die Eltern kamen täglich ans Bett ihres Sohnes. Einmal erlaubte eine Schwester dem besorgten Vater,länger zu bleiben. Denn das Herz des damals 54-jährigen Patienten wollte nicht mehr. Man rechnete mit dem Schlimmsten. Andreas Peilowich überlebte – doch seinen Vater nahm der Vorfall so sehr mit, dass er einen Herzanfall erlitt und seither einen Herzschrittmacher trägt.

Das alles hätte vermieden werden können, ist sich die Familie sicher – vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Klauser. Und klagt auf 2,3 Millionen Euro (Schadenersatz, Reha-Kosten, Verdienstentgang). Unter anderem Quargel-Hersteller Prolactal, die Republik Österreich und die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Sowohl Hersteller als auch Kontrollorgane hätten wesentlich früher von den Bakterien im Käse gewusst bzw. wissen müssen. Zudem sei die Warnung an die Bevölkerung viel zu spät erfolgt. Termin und Ort der Verhandlung stehen noch nicht fest.

Die Vorwürfe, die in der Klageschrift gegen Behörden und Hersteller vorgebracht werden, wiegen schwer.

Im Juni/Juli 2009 wurden der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) die ersten drei Listerien-Fälle gemeldet. Ab August stand fest, dass die drei Patienten mit dem gleichen Listerienstamm infiziert waren und dass es sich um eine Übertragung über Lebensmittel handeln musste – entsprechende interne Tagebuchaufzeichnungen des Gesundheitsministeriums sollen das belegen.

Ab Herbst 2009 konnte die Ursache auf Molkereiprodukte eingegrenzt werden. Doch erst am 13. Jänner 2010 wurde Prolactal mit Sitz in Hartberg überprüft. Die Mitteilung des positiven Testergebnisses dauerte bis 22. Jänner. Die Bevölkerung wurde davon nicht in Kenntnis gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits vier Todesopfer bekannt. Insgesamt starben acht Menschen. In der Klageschrift heißt es dazu: „Aufgrund der bereits 2009 eingetretenen Todesfälle bestand bereits im Spätherbst 2009 Gefahr in Verzug, welcher der Lebensmittelpolizei zu entsprechenden Kontrollen Anlass genug hätte sein müssen, aus unerklärlichen Gründen jedoch nicht war.“

Weihnachtsgeschäft

Rechtsanwalt Alexander Klauser und sein Mandant sind überzeugt: Mit dem „Verschieben der Aufklärung“ in das Jahr 2010 hinein wollte man das Weihnachtsgeschäft für den Lebensmittelhandel nicht stören und Panik verhindern. Erst am 19. Jänner 2010 – acht Monate später – kam es zur Einstellung der Käseproduktion. Der Produkt-Rückruf erfolgte weitere vier Tage später.

Im Juni 2011 endete eine Klage des Vereins für Konsumenteninformation in Vertretung von sechs Erkrankten und zwei Hinterbliebenen gegen Prolactal mit einem Vergleich.