Chronik/Wien

Leichen-Show zeigte Wirkung

Am Ende befand die Vorsitzende Susanne Lehr, dass die Verhängung der Höchststrafe – lebenslang – wegen der vorliegenden Persönlichkeitsstörung nicht erforderlich sei. Das sei nämlich „keine Erkrankung, die man sich ausdenkt und einfach zulegt. Das ist etwas anderes, als wenn man aus purer Bösartigkeit hergeht und ein Menschenleben auslöscht.“

Die Richterin verkündete das vor ein paar Monaten im Prozess gegen jenen Mann, der in der Tiefgarage des Wiener Hanusch-Krankenhauses die 49-jährige Krankenschwester Helga L. mit einem angesetzten Schuss ermordet hatte und dafür nur 20 Jahre Haft bekam.

Hinterrücks

Auch Estibaliz Carranza leidet an einer schweren Persönlichkeitsstörung, die sie sich nicht ausgesucht hat. Die Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner hat die kranke Psyche der 34-Jährigen viele Stunden durchleuchtet und dargelegt, dass ihr geistiger Spielraum eingeschränkt war. Das ergab zwar keinen Schuldausschließungsgrund, weil die Morde hinterrücks und nicht im Affekt begangen worden waren und Carranza laut Kastner nie die Kontrolle verloren hatte. Auch darf man nicht das Motiv vergessen: Carranza wollte die Männer, die Geld in ihren Eissalon investiert hatten, einfach loswerden.

Aber es hätte bis zu einem gewissen Grad ebenfalls eine verminderte Schuldfähigkeit erwarten lassen wie beim Mörder der Krankenschwester.

Am Schluss ist davon nichts übrig geblieben, als der von Richterin Susanne Lehr in der Urteilsbegründung angeführte „Milderungsgrund“ der psychischen Beeinträchtigung. Niedergeschlagen hat er sich nicht, mehr als lebenslang (plus Einweisung), nicht rechtskräftig, geht nicht, echt nicht.

Die Höchststrafe war schon am vorletzten Prozesstag, vor dem Referat der Psychiaterin, vor dem Schlussplädoyer des Verteidigers, vor dem schluchzenden Schlusswort der Angeklagten, beschlossene Sache. Bei der unüblichen wie unnötigen Dia-Show des Gerichtsmediziners, der Leichenteile im Großformat auf die Leinwand projizierte („Hier sehen Sie einen Unterschenkel, beachten Sie, dass sich noch der Fuß daran befindet“), ging ein Ruck durch die Geschworenen. Die abgetrennten Köpfe, einer noch mit den Gesichtszügen des Toten, der andere mit fehlendem Unterkiefer, samt Kommentar des Sachverständigen („große Sauerei“) brannten sich ein.

Normalerweise bekommen die Richter die sogenannte Tatortmappe zu sehen, in der sich auch Bilder der Leiche(n) befinden. Das gehört zur Beweiswürdigung: Wie wurde das Opfer getötet, und wie wurde die Leiche hinterher beseitigt?

Unnötiges

Und das ist auch der Gutachtensauftrag, nämlich die Feststellung der Todesursache und die Auswertung der Auffindungssituation der Leiche. „Aber dazu sind nicht alle Details der Grausigkeit erforderlich“, sagt der Linzer Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer. Laut dem Kriminologen hat die Vorsitzende nach der Strafprozessordnung die Ermittlung der Wahrheit zu fördern und dafür zu sorgen, „dass Unnötiges unterbleibt“. Also zum Beispiel „eine brutale Schilderungsweise zu untersagen“. Der Verteidiger könne sich gegen eine solche wehren und später unfaire Beeinflussung gelten machen.

Nützen dürfte ihm das nicht viel. Erst kürzlich hat das Oberlandesgericht die Strafe für eine Frau, die ihren Cousin mit dem Mord an ihrem Ehemann (Schuss in den Hinterkopf) beauftragt hat, von 20 Jahren auf lebenslang hinaufgesetzt.

Und letztlich macht es auch wenig Unterschied. Bei 20 Jahren besteht nach zwei Dritteln – 13,5 Jahren – erstmals eine halbwegs realistische Chance auf vorzeitige Entlassung, bei lebenslang nach 15 Jahren. Die zusätzliche Einweisung in den Maßnahmenvollzug, die wie eine Sicherheitsverwahrung wirkt, lässt dafür aber ohnehin wenig Raum.