Kuchen backen: Von Oma für Bobo
Von Julia Schrenk
Im weißen Hemd, mit schwarzem Gilet und Mascherl begrüßt Herr Hannes die neuen Gäste. „Nein, einen Latte Macchiato kriegen S' bei uns nicht. Wir haben einen Filterkaffee“, erklärt er. Herr Hannes ist 62 Jahre alt, Schauspieler und verdient sich in der Vollpension etwas als Kellner dazu. Die Vollpension, das ist ein generationsübergreifendes Kaffeehaus im Jeanslabor der Gebrüder Stitch in der Wiener Mariahilferstraße 101. Motto: Omas backen für Bobos. (Anm. Bourgeoise Bohemiens, Bezeichnung für kreativ-bürgerliche Großstädter)
In der Vollpension wird der Kaffee in Tassen mit Goldrand serviert, die Gäste sitzen in alten Ohrensesseln. Auf den Werktischen, auf denen sonst Jeans genäht werden, stehen Bleikristallvasen mit Nelken direkt neben den Nähmaschinen. Und in der Küche aus den 50er-Jahren stehen die Omas und Opas aus den 40er-Jahren und rühren Teig für das Buffet an. Nur Herr Hannes kellnert, weil backen kann er nicht.
Vor einem Jahr kam Moriz Piffl und Mike Lanner, die als Gebrüder Stitch die Jeans-Maßschneiderei betreiben, die Idee, ein generationsübergreifendes Kaffeehaus zu eröffnen. Denn als Piffl, der aus einer Großfamilie in der Steiermark stammt, zum Arbeiten nach Wien gezogen ist, hat er vor allem eines vermisst: Die Mehlspeise von der Oma. Und die Gespräche mit der älteren Generationen. „Es ist so: Die beste Mehlspeise gibt’s halt nicht im Sacher oder beim Demel, sondern nur bei der Oma“, sagt Piffl. Weil er angenommen hat, dass es nicht nur ihm, sondern vielen anderen Neo-Wienern auch so geht, hat er die Vollpension 2012 als Projekt bei der Vienna Design Week eingereicht. 10 Tage lang wurde die Jeanswerkstatt damals zum Kaffeehaus umgemodelt. Kurz vor Ladenschluss wurde dann die Facebook-Gruppe „Rettet die Vollpension“ gegründet.
Mittlerweile findet die Vollpension jeweils von Freitag bis Sonntag im Advent statt. Freitagabend legen DJs auf, jeden Adventsonntag zündet Herr Hannes die Kerze am Adventkranz und liest besinnliche Gedichte vor. Wer will, kann am sogenannten „Seniorenclub“ teilnehmen: Da setzen sich die backenden Omas und Opas zu den Jungen an den Tisch und erzählen ihre Lebensgeschichte. Auch Herr Hannes erzählt dann von seinem Leben. Und dass die Aufträge als Schauspieler in seinem Alter nicht mehr ganz so oft daherkommen. Wenn Herr Hannes nicht spielt, dann schlüpft er eben in die Rolle des Oberkellners in Vollpension. „Es ist einfach nett hier, man kann gut plaudern und ich kann mir was dazuverdienen“, sagt Herr Hannes.
Das ist auch der Grund, warum die Gebrüder Stitch überlegen, die Vollpension ab 2014 ganzjährig am Wochenende zu veranstalten. „In Österreich gibt es 155.000 alleinstehende Pensionisten, ein Viertel davon lebt unter der Armutsgrenze und ein weiteres Viertel lebt nur 8 Euro darüber“, sagt Moriz Piffl.
Vollpension im Jeanslabor der Gebrüder Stitch, Mariahilfer Straße 101, 3. Hof links