Chronik/Wien

Kriminologe: "Hohe Strafen für Sextäter sinnlos"

Nach Bekanntwerden von Fällen wie dem eines Wiener Vaters, der seine zweijährige Tochter (vor laufender Handy-Kamera eines Dachdeckers) missbraucht haben soll, werden stets Rufe nach strengeren Strafen für Sextäter laut. Aber bringen die überhaupt etwas?

Der Kriminologe, langjährige Gefängnischef und Leiter der Strafvollzugsakademie, Wolfgang Gratz, sagt im KURIER-Gespräch: "Es ist ziemlich egal, ob so jemand ein Jahr, drei oder fünf Jahre eingesperrt ist, es kommt darauf an, was in der Haft mit ihm gemacht wird. Die Strafe für einen Sextäter hat nur dann Sinn, wenn er therapiert wird."

Wobei: Je länger der Sexualstraftäter im Gefängnis sitzt, desto mehr wird er aus dem sozialen Umfeld herausgerissen. Nach der Entlassung steht er dann mehr oder weniger auf der Straße. "Hat jemand mit einer pädophilen Problematik keine Arbeit, ist er stärker gefährdet, rückfällig zu werden. Soziale Desintegration ist ein großes Risiko", sagt Gratz.

Nach Einschätzung des Strafrechtsprofessors ist Österreich bei der Behandlung von Sexualtätern "gut aufgestellt: Sie sind im Strafvollzug fast die einzige Gruppe, für die es entsprechende therapeutische Angebote in der Haft gibt."

Das ist vor allem Gruppentherapie, denn in der Einzeltherapie neigen die Täter zum Bagatellisieren. "In der Gruppe etwas schönreden klappt nicht."

Nachholbedarf für Österreich sieht Gratz in mehr Angeboten für Männer mit pädophilen Neigungen in Freiheit. Die Männerberatung ist so eine Anlaufstelle, sie führt aber auch im Gefängnis Therapien durch. Das forensisch-therapeutische Zentrum in Wien-Leopoldstadt bietet eine Nachbehandlung für Haftentlassene. Pro Jahr werden von den Gerichten etwa 20 bis 25 Sexualtäter (und noch einmal so viele Gewalttäter) zugewiesen, die Zahl steigt jährlich um fünf Prozent. Laut der psychotherapeutischen Leiterin, Reingard Cancola, ist die Bereitschaft der Richter, beim Urteil oder bei der Entlassung aus der Haft solche Weisungen zur Therapie auszusprechen, gewachsen. Das forensisch-therapeutische Zentrum kann bis zu 100 Patienten betreuen.

Motivation

Kriminologe Gratz plädiert für noch mehr bedingte Entlassungen von Sextätern samt richterlicher Weisung, die Therapie nach der Haft fortzusetzen. Stellt man dem Täter die bedingte Entlassung in Aussicht, "dann wirkt die Strafe als Motivation, schon im Gefängnis bei der Therapie mitzumachen". Die Rückfallquote kann sich so auf bis zu fünf Prozent innerhalb von fünf Jahren drücken lassen, bei Eigentumsdelikten liegt sie bei 70 Prozent und mehr.

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