Immo-Spekulanten unter Zugzwang
Von Birgit Seiser
Seit 171 Jahren steht in der Radetzkystraße ein Haus, das mit seinem Eckturm das Bild des Grätzels in Wien-Landstraße prägt. Im Jahr 1847 war es das erste Zinshaus das im Stil der Neogotik von Josef Kastan erbaut wurde. Seit Dienstag ist der Eckturm jedoch von einem Baugerüst umhüllt, das Gebäude soll abgerissen werden – obwohl immer noch neun Mieter mit unbefristeten Verträgen dort wohnen. Vor dem Eigentümer – einer Immo-Gruppe die mit Luxusappartements ihr Geld verdient – kapitulieren wollen die Altmieter nicht. „Wir haben eine Petition gestartet“, sagt Bewohner Andreas Vesely. Auch die Grüne Klubobfrau des 3. Bezirks, Ulrike Pilgram, kämpft gegen den Abriss.
Der Probleme begannen 2015. Damals wurde das Haus an einen neuen Eigentümer verkauft. Der vorherige Besitzer hätte es laut den Mietern „immer in Schuss gehalten“. Nach der Übernahme habe sich das geändert. „Jetzt schaut alles nach Abriss aus. Am Dienstag wurde ein Gerüst aufgebaut. Warum, wissen wir nicht. Es gab weder einen Brief noch einen Aushang“, sagt eine Mieterin. Das Handeln der Besitzer könnte einen rechtlichen Hintergrund haben: Schon am ersten 1. Juli könnte jener Teil der neuen Wiener Bauordnung in Kraft treten, der einen besseren Schutz von Altbauten vorsieht.
Abriss wird kompliziert
Mit der Novelle sind Gründerzeithäuser nur noch schwer abzureißen. Außerdem könnte das Haus durch die neue Bauordnung als Schutzzone ausgewiesen werden, was bisher nur für Häuser die im Gebäudeverbund stehen, möglich war. Für Immobilien-Spekulanten bedeutet die Baurechts-Novelle große finanzielle Einbußen, denn Luxusapartments zu errichten, ist weitaus lukrativer als alte Mietshäuser zu renovieren. Bisher war der Abriss bewilligungsfrei. Drei Tage vor Beginn der Bauarbeiten musste lediglich eine Info an die Stadt erfolgen. Allein im Jahr 2017 wurden laut Grüne Wien über 100 Häuser eingestampft.
Das ewige Problem der Immo-Spekulanten sind unbefristete Mietverträge, die nicht einfach so aufgelöst werden können. Wie Beispiele der vergangenen Jahre zeigen, fielen Bauherren zwielichtige Methoden ein, um die Altmieter aus den Häusern zu bekommen, wie in der Mühlfeldgasse 12 in der Leopoldstadt. Vor sechs Jahren boten die Eigentümer des Gebäudes einigen Punks an einzuziehen, um so die Mieter zu vertreiben. Die Punks solidarisierten sich allerdings mit den Anrainern, was zur Entstehung der Pizzeria Anarchia und deren medienwirksamen Räumung 2014 führte. Ähnliche Methoden sollen auch im Haus in der Radetzkystraße angewandt worden sein. Laut den Mietern hausten bereits Obdachlose in mehreren Wohnungen. Auf KURIER-Anfrage äußerte sich die Immobilien-Gruppe nicht. Laut Ronald Schlesinger von der Mieterhilfe Wien soll es nächste Woche eine Mieterversammlung geben: „Wir kennen diese Firma und haben ein Auge auf die Vorgänge dort. Der Eigentümer kann das Haus nicht abreißen, solange noch Mieter dort sind. Das steht definitiv fest.“