Im Tiefflug am Chemielager vorbei
Das Szenario erinnert an das Feuer-Inferno der Concorde-Maschine 2000 in Paris. Ein Jet der Iberia düst am Flughafen Wien-Schwechat mit 122 Menschen an Bord über die Startbahn 29 und dabei werden Teile des Fahrwerks in die Luft geschleudert. Sie durchschlagen den Flügel und donnern gegen ein Triebwerk, teilweise werden sie von diesem eingesaugt und verbrannt. Andere Trümmer bleiben auf der Rollbahn liegen. Passagiere sprechen von drei Explosionen. Der Pilot schaltet noch beim Startmanöver das beschädigte Triebwerk ab und fliegt eine 180-Grad-Linkskurve. Am Airport wird Crash-Alarm ausgelöst, sogar der Katastrophenzug der Wiener Rettung rast Richtung Airport.
Noch ist unklar, ob das Fahrwerk des Piloten ausgefahren ist und eine Landung möglich ist. Normalerweise wird deshalb ein Mechaniker gerufen und der Jet startet über der Landebahn durch – dabei wird per Sicht geprüft, ob es Schäden gibt. Doch am Flughafen ist für diesen Luftfahrzeugs-Typ (MD-88) kein Mechaniker vorhanden. Laut dem Abschlussbericht des Verkehrsministeriums entscheiden sich die Fluglotsen deshalb anders. Die Iberia soll im Tiefflug (rund 100 bis 200 Meter über dem Boden) nördlich am Tower vorbeifliegen.
Riskanter Überflug
Im Klartext: Der Jet, der nur mehr ein Triebwerk zur Verfügung hat und schwer beschädigt ist, wird Richtung OMV-Raffinerie, mehrerer chemischer Betriebe und vorbei an einem schwer erkennbaren Handymasten gelotst. Die Flugroute liegt 280 Meter nördlich vom Tower – der Jet hätte also auch auf dem belebten Parkplatz zerschellen können.
Gleich zwei Mal wird dieses Manöver mit erhöhtem Risiko (so der Abschlussbericht) am 31. Juli 2008 durchgeführt. Fünf Jahre dauerte es, bis nun die dramatischen Ereignisse restlos untersucht worden sind – und klar wird, wie knapp man damals wirklich an der Katastrophe vorbeigeflogen ist.
„Das Durchstarten über der Landebahn ist das normale Verfahren“, erklärt Austro-Control-Sprecher Markus Pohanka. Hier handelte es sich aber um einen „außergewöhnlichen Fall“. Die Flugsicherung habe „auf Wunsch des Piloten“ so gehandelt. „Deshalb musste vom normalen Verfahren abgewichen werden.“ Die Ministeriumsbeamten wundern sich hingegen, dass so eine Entscheidung einem Piloten überlassen wurde, der keine Ortskenntnis besaß und nicht einmal wusste, wo er drüberflog. Er forderte sogar noch einen Schaumteppich an, wie er seit 25 Jahren nicht mehr verwendet wird. So jemandem sollte diese Entscheidung überlassen werden?
Der Bericht geht mit der Flugsicherung hart ins Gericht: Wenn ein tiefer Überflug über Bereiche erfolgt, die zahlreiche Hindernisse aufweisen, wo weder bekannt ist wo, noch in welcher Höhe die Piloten dann tatsächlich mit ihrem havarierten Luftfahrzeug fliegen werden, dann wird die Sicherheit dieses Überflugs teilweise dem Zufall überlassen. Der Überflug hätte über der Landebahn durchgeführt werden müssen.
Auch sonst war die Flugroute offenbar nicht optimal: Bei etwa einem Viertel des Störungsfluges befand sich auch der Flughafen Schwechat außerhalb der Gleitdistanz des Luftfahrzeuges. Kritisiert wird außerdem die Vorflugkontrolle des Flughafen Wien. Denn dort wurde die beginnende Ablösung der Lauffläche des Reifens nicht bemerkt.
Nur wenige Stunden war der Bericht der Flugunfallkommission über den Zwischenfall auf der Seite des Verkehrsministeriums online, dann wurde er „aus ermittlungstaktischen Gründen“ entfernt. Im Internet-Forum des Aviation Herald wird nun spekuliert. Piloten befürchten, dass der Bericht geändert wird und dem Piloten die Schuld zugeschoben werden soll. Klaus Kienesberger vom Verkehrsministerium erklärt, dass das Papier nur „versehentlich zu früh online gestellt“ wurde. Es müsse erst allen Beteiligten zugestellt werden, dann würde der Bericht wieder online gestellt.
Experten kritisieren, dass es Lücken gibt. So ist unklar, welcher der zwei Piloten am Steuer war. Auch sei eigenartig, dass die Erstellung eines Berichts über eine Notlandung fünf Jahre dauert.