Heumarkt: Vassilakou überlässt Entscheidung grünen Gemeinderäten
Die Wiener Planungsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) überlässt die Entscheidung über das umstrittene Heumarkt-Projekt nun den Gemeinderäten ihrer Partei. Das teilte die Ressortchefin am Dienstagvormittag vor Journalisten mit. Sie sollen somit nach eigenem Gutdünken über die entsprechende Flächenwidmung abstimmen. Damit setzt Vassilakou die rot-grüne Mehrheit aufs Spiel. Sie zeigte sich am Dienstag aber optimistisch - und auch Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) sagte am Dienstag, er gehe davon aus, dass rot-grün mehrheitlich für das Projekt stimmen werde.
Die Krisensitzung der Wiener Grünen zum parteiinternen Streit über die Bebauung des Haumarkts in der Nacht auf Dienstag ist ohne Beschlüsse zu Ende gegangen. Die Sitzung, an der rund 60 Personen teilgenommen hatten, dauerte von 18.30 bis zirka 23 Uhr. Wie berichtet, hatte sich bei einer Urabstimmung unter den Wiener Parteimitgliedern eine knappe Mehrheit gegen das Hochhaus-Projekt entschieden. Vor Beginn der Krisensitzung Montagabend in der Parteizentrale in Wien-Neubau hatte Vassilakou vor Journalisten betont, sie wolle „Klarheit schaffen“. Es gehe nicht um ihre „persönliche Zukunft, sondern um ein Projekt, an dem viele Menschen in den vergangenen fünf Jahren gearbeitet haben“.
Einen Rücktritt schloss sie aber aus. Sie wolle „mindestens die Nacht nutzen, um mir alles durch den Kopf gehen zu lassen“, sagte Vassilakou.
Vassilakou geht von Mehrheit im Gemeinderat aus
Bei der spontan einberufenen Pressekonferenz am Dienstag sagte Vassilakou, sie überlasse die Heumarkt-Entscheidung den Gemeinderäten, denn sie glaube an das freie Mandat. Leider sei es nicht gelungen, alle von dem Projekt zu überzeugen, räumte sie ein. Damit setzt Vassilakou die rot-grüne Mehrheit trotz Koalition aufs Spiel. Sie zeigte sich aber zuversichtlich: Sie gehe von einer Mehrheit im Gemeinderat aus. "Die letzte Entscheidung hat der Gemeinderat und niemand sonst", betonte sie. Eine geheime Abstimmung ist in diesem Fall übrigens nicht möglich.
Sie habe mit den Mitgliedern des Klubs gesprochen und gehe davon aus, dass es im Gemeinderat die notwendigen Stimmen geben werde.
Sie kündigte zudem an, den städtebaulichen Vertrag zu veröffentlichen, sprich: Alle Abmachungen sollen offengelegt werden.
Die Vorgangsweise sei mit der SPÖ akkordiert, sagt Vassilakou weiter. Und sie warnte: Gebe es keine Zustimmung zu dem Projekt, so könne das Areal zum Spekulationsobjekt werden.
Sie sei zudem sowohl dem Eislaufverein als auch der Öffentlichkeit und dem Projektbetreiber – der Wertinvest von Investor Michael Tojner – im Wort, betonte Vassilakou. Um eventuell die Zustimmung manchem zweifelndem Grünen zu erleichtern, verkündete die Ressortchefin heute, dass sie mit Tojner vereinbart habe, die Hälfte der Räumlichkeiten des umstrittenen Wohnhochhauses nicht als Luxuswohnungen zu entwickeln, sondern als „Räumlichkeiten für eine Institution im öffentlichen Interesse“. Details dazu würden noch geklärt.
Thomas Blimlinger, Grüner Bezirksvorsteher von Wien-Neubau, spricht sich jedenfalls dafür aus, dem Projekt zuzustimmen. „Sicher, Projekte in einer Stadt sind niemals nur Schwarz oder Weiß“, sagte er. „Angesichts der prekären Situation plädiere ich aber dafür, zuzustimmen.“
"Wird keinen zweiten 'Heumarkt' geben"
„Ich stehe als Landessprecher zum Ergebnis der Urabstimmung“, sagte wiederum Landessprecher Joachim Kovacs am Dienstag von den Grünen Wien. Die Mehrheit der Basis habe sich gegen das Heumarkt-Projekt ausgesprochen und dies sei zu akzeptieren. „ Jetzt liegt der Ball beim Klub“, sagt er. Kovacs fügte hinzu: „Wie auch immer diese Geschichte am Ende ausgeht, es muss uns allen ein Weckruf sein, die artikulierten Unzufriedenheiten ernst zu nehmen und in Zukunft dafür Sorge zu tragen, dass wir unsere Mitglieder frühzeitiger in Entscheidungsprozesse einbinden und Planungsprozesse einbinden.“ Er wolle die Kritiker nun „zurück ins Boot“ holen. Man werde „Vorschläge erarbeiten, wie wir uns strukturell verbessern können, damit es keinen zweiten ‚ Heumarkt‘ geben wird.“
Glawischnig: "Vorgangsweise sauber"
Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig übt im Streit um den Hochhausbau am Heumarkt keine Kritik an der Urabstimmung ihrer Wiener Landesgruppe. „Ich finde an und für sich die Vorgangsweise sauber“, sagte sie in einer Pressekonferenz am Dienstag. Die inhaltliche Frage sei hoch komplex, „da möchte ich mich auch nicht einmischen“. All das und damit auch die weitere Vorgangsweise sei eine „Wiener Angelegenheit“, betonte Glawischnig.
Gewissheit herrscht am 1. Juni, wenn die Flächenwidmung in den Gemeinderat kommt. Von 100 Mandaten im Stadtparlament hat Rot-Grün derzeit 54 inne – 44 die SPÖ, zehn die Grünen. Um FPÖ, ÖVP und NEOS außen vorlassen zu können, braucht Vassilakou also mindestens sieben Projekt-Unterstützer aus den eigenen Reihen, um die Flächenwidmung durchzubringen. Vorausgesetzt, die SPÖ stimmt geschlossen für das Dokument – wovon die Ressortchefin ausgeht.
Der grüne Klubobmann David Ellensohn gab am Dienstag per Aussendung postwendend eine Garantie ab, dass es eine rot-grüne Mehrheit geben werde – denn: „Auch in schwierigen Situationen müssen Entscheidungen getroffen werden“. Ob alle Mitglieder der grünen Fraktion pro Heumarkt stimmen werden, ließ er allerdings offen.
Bürgermeister Michael Häupl geht derzeit davon aus, dass eine rot-grüne Mehrheit für das Projekt stimmen werde. "Wir werden aber auch das Gespräch mit anderen suchen, so wie immer", fügte er hinzu. Ebenso geht er nicht davon aus, dass die Koalition zerbricht. Auf die Frage, ob er dennoch über einen Plan B verfüge, antwortete er: "Einen Plan B entwickelt man nur dann, wenn man ihn braucht."
Ebenso stehe noch nicht fest, dass es nach der Umsetzung des Projekts tatsächlich zu einer Aberkennung des Status' als Weltkulturerbe komme, betonte Häupl.
Denn durch die projektierte Turmhöhe des Hochhausturms am Heumarkt droht die UNESCO mit der Aberkennung des Weltkulturerbes für die Wiener Innenstadt.
Die Pläne für die Neugestaltung sahen neben einem 66-Meter-Gebäude auch den Neubau des Hotels Intercontinental und die ganzjährige Zugänglichkeit bzw. Nutzbarkeit der Flächen des Eislaufvereins vor.
JUNI 2012: Planungsstadträtin Vassilakou gibt den Startschuss für das Heumarkt-Projekt. Fachleute, Private und Stadt sollen gemeinsam einen Plan für die Neugestaltung des teils heruntergekommenen Areals, auf dem das Hotel Intercontinental, der Eislaufverein und das Konzerthaus beheimatet sind, erarbeiten. Als privater Partner wird der Investor Michael Tojner mit seinem Unternehmen Wertinvest präsentiert.
FEBRUAR 2013: Der Rahmenplan wird vorgestellt. Der Kernpunkte: Die Eislauffläche soll erhalten und im Sommer zusätzlich für die Öffentlichkeit nutzbar gemacht werden, Zweckbauten entlang des Heumarkts sollen abgerissen werden, die Zukunft des Interconts bleibt offen. Erwähnt wird nun bereits auch jenes Vorhaben, um das sich in den kommenden Jahren heftige Debatten entzünden werden. Denn das Grundkonzept sieht auch vor, einen 73 Meter hohen, schlanken Turm an der Kreuzung Lothringerstraße/Johannesgasse in die Höhe wachsen zu lassen. Vassilakou räumt bereits ein, dass die UNESCO nicht glücklich damit sei, deshalb sei dieser Aspekt noch "Gegenstand von Erörterungen". Tojner beziffert die Gesamtinvestitionen mit 200 bis 300 Mio. Euro.
MAI 2013: Namhafte Architekten fürchten um das Stadtbild und äußern Kritik am Verfahren. Sie fordern einen Stopp der Weiterplanung.
FEBRUAR 2014: Der Entwurf des brasilianischen Architekten Isay Weinfeld wird zum Siegerprojekt gekürt. Dieses hält am 73-Meter-Turm fest, in dem Luxuswohnungen entstehen sollen.
APRIL 2014: Erste Debatten um die Höhe des Neubaus entstehen. Investor Tojner reagiert entschlossen. "Einen Kompromiss werde ich nicht bauen", stellt er klar.
MAI 2016: Vassilakou legt die Heumarkt-Pläne auf Eis und verordnet dem Projekt eine "Nachdenkpause". Denn das Hochhaus sorge für Bedenken unter Experten, argumentiert sie.
JULI 2016: Die UNESCO verwarnt Österreich trotz Projekt-Stopps offiziell und sprich von einer Gefahr für den Welterbe-Status der Innenstadt. Der Vertragsstaat Österreich wird aufgefordert, "das Projekt so zu überarbeiten, dass Höhe, Maßstab und Design an die Umgebung angepasst und die visuellen Auswirkungen reduziert werden".
DEZEMBER 2016: Die Stadt und der Investor präsentieren die überarbeiteten Pläne für das Grundstück. Im Zentrum steht die Reduktion des umstrittenen Turms auf 66 Meter. Das Hotel Intercont soll nun doch abgerissen und verkleinert neu errichtet werden. Der Baubeginn wird mit frühestens 2019 festgelegt. Ein Ende der Debatte bedeutet das keinesfalls. Die UNESCO stellt noch am selben Tag klar, dass die Anpassungen zu wenig weit gehen und nach wie vor das Welterbe-Aus droht. Gefordert wird weiterhin eine maximale Bauhöhe von 43 Metern.
FEBRUAR 2017: Denkmalschützer, Künstler und der UNESCO-Beirat ICOMOS mobilisieren medial gegen das Projekt. Auch das Bezirksparlament Innere Stadt spricht sich fraktionsübergreifend gegen das Vorhaben aus. Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) bekennt sich indes zu den Plänen und zeigt sich optimistisch, dass noch ein Kompromiss mit der UNESCO gefunden werden kann. Gleichzeitig macht er klar, dass es "auch um den Umgang mit Investoren in dieser Stadt" gehe. Die Grünen verweisen auf den Nutzen für den Eislaufverein sowie die Öffentlichkeit. Die Wertinvest hält am Baubeginn 2019 fest und rechnet weiterhin damit, "dass das Projekt, so wie es ist, realisiert wird".
11. MÄRZ 2017: In etwa 100 Gegner demonstrieren gegen das Heumarkt-Projekt.
20. MÄRZ 2017: Rund 600 Stellungnahmen zählt die Stadt im laufenden Flächenwidmungsverfahren. Im Vergleich zu anderen Bauvorhaben hat es somit ungewöhnlich viele Äußerungen gegeben.
24. MÄRZ 2017: Die Wiener Grünen teilen überraschend mit, dass es eine Urabstimmung über das Projekt unter allen Parteimitgliedern geben wird. Sie wurde von grünen Heumarkt-Kritikern rund um City-Klubchef Alexander Hirschenhauser und dem grünen Kultursprecher im Nationalrat, Wolfgang Zinggl, erzwungen. Sie wollen das Weltkulturerbe nicht gefährdet wissen und kritisieren gleichzeitig, dem Investor zu hörig zu sein. Die Befragung erfolgt schriftlich in einem Zeitraum von vier Wochen.
21. APRIL 2017: Das Ergebnis der Urabstimmung fällt überraschend, wenn auch knapp, gegen das Projekt aus. Damit geraten Vassilakou und die Parteispitze arg in Bedrängnis. Denn die Gegner sehen sich in ihrer Forderung bestätigt, das Vorhaben zurück an den Start zu schicken.
24. APRIL 2017: Die Wiener Grünen wollen bei einer Krisensitzung über das weitere Vorgehen beraten. Im Vorfeld stellt die Wertinvest klar, dass die in den vergangenen Jahren getroffenen Vereinbarungen nicht zur Debatte stünden.
Die Zores in der rot-grünen Koalition freuen naturgemäß die Opposition: Die ÖVP etwa ortet den „Höhepunkt einer Dauerkrise“, und vermutet, die Regierung werde einen „rot-grünen Trümmerhaufen“ hinterlassen. Landesobmann Gernot Blümel nutzte die Gelegenheit, um Dienstagvormittag im Rahmen einer Pressekonferenz die Bedingungen seiner Partei für Koalitionsverhandlungen zu präsentieren, denn: „Informell sind wir bereits mehrmals von SPÖ-Funktionären aus der zweiten und dritten Reihe gefragt worden, ob wir uns einen Koalitionswechsel vorstellen können.“
Für Koalitionsverhandlungen erwarte man von der der SPÖ die Ermöglichung der Sonntagsöffnung in Wien, die Einrichtung von Demozonen, ein volles Bekenntnis zur Dritten Piste in Schwechat, den Bau des Lobau-Tunnels, eine Senkung der Gebühren, eine Pensionsreform sowie eine Reform der Mindestsicherung.
Häupls Kommentar zum Angebot der ÖVP war übrigens: "Eine interessante Antwort auf eine nicht gestellte Frage."
Reaktion der Blauen
„Mir stellt sich die Frage, wie eine Regierung überhaupt noch Vernünftiges leisten können soll, wenn beide Partner durch interne Streitereien gelähmt sind“, sagte wiederum der freiheitliche Vizebürgermeister Johann Gudenus. Für ihn sei „Rot-Grün gescheitert und am Ende“.
Einen fliegenden Regierungswechsel schließt er jedoch aus: „Die Wienerinnen und Wiener haben ein Recht, nach diesen komplett verpatzten eineinhalb Jahren Rot-Grün nochmals darüber abzustimmen, in welche Richtung es gehen soll“, sagte Gudenus. Nötig seien deutliche Verbesserungen im Bereich der Sicherheits-, Arbeitsmarkt-, Migrations-, Sozial- und Gesundheitspolitik.