Chronik/Wien

Gürtler: "Rauswurf bei Rollkur"

Elisabeth Gürtler, die Leiterin der Wiener Hofreitschule, hat es nicht leicht. Nach dem Zwist um einen harten Sparkurs prasselt nun auch internationale Kritik auf die Lipizzaner-Chefin ein. Der berühmten Wiener Institution werden quälende Methoden bei der Dressur vorgeworfen - der KURIER berichtete. Im Mittelpunkt steht die sogenannte Rollkur. Bei dieser wird der Pferdekopf mit den Zügeln seitlich zurückgezogen. Das Pferd "beißt" sich dabei selbst in die Brust.

Die Hyperflexion – so der offizielle Name – stammt ursprünglich aus Frankreich und wird vor allem in den Niederlanden angewendet. Nun aufgetauchte Bilder der holländischen Pferdesachverständigen Ulrike Thiel von einem Morgentraining im Mai 2008 sollen belegen, dass diese umstrittene Maßnahme offensichtlich auch in der Hofreitschule zumindest in einem Fall angewandt wurde. Gürtler bestritt das zwar entschieden gegenüber dem KURIER. Aber Christine Aurich, Universitätsprofessorin an der Veterinärmedizin Wien und Autorin einer Studie zu der strittigen Methode, meint zweifelsfrei: "Auf den Fotos ist eindeutig die klassische Rollkur zu sehen."

Deren Folgen sieht man laut Thiel etwa an den Pferdebewegungen auf aktuellen Fotos – etwa bei der heurigen Lipizzaner-Tournee im April im schwedischen Malmö.

Auch Uni-Expertin Aurich meint: "Die Tiere müssen dort mit Zwang geritten worden sein und sind überfordert, das sind nicht die Bilder der schönen Reitkunst, wie sie die Hofreitschule predigt. Ob das ein Ergebnis einer Rollkur ist, kann man allerdings nicht sagen."

Gürtler selbst erklärt gegenüber dem KURIER, die Rollkur sei in der Hofreitschule verpönt: "Wir lehnen das von ganzem Herzen ab. Wenn ich das sehe, dann würde ich den Reiter vom Pferd holen. Wenn mir jemand ein Video zeigt und keine Momentaufnahme, dann wird derjenige die Hofreitschule verlassen müssen."

Max Dobretsberger, der Leiter des Gestüts in Piber, sieht "unschöne Bilder, die aber Momentaufnahmen sind. Solche Bilder gibt es von jedem Reiter, das können auch Dehnungsübungen im Stand sein."

"Ein Traum geplatzt"

Unter Pferdefreunden sind die Bilder auf Facebook derzeit weiterhin Gesprächsthema Nummer eins. "Wieder ein Traum geplatzt", oder "Das ist alles so schrecklich", ist in den Kommentaren zu lesen. Marie-Françoise Chevallier Le Page von der französischen Lipizzaner-Vereinigung richtete ein Protestschreiben an die Hofreitschule in Wien.

Darüber, wie schädlich die Hyperflexion tatsächlich ist, sind die Meinungen in der Fachwelt geteilt. Die internationale Pferde-Vereinigung FEI fasst zusammen: "Es können keine klinisch nachweisbaren Nebeneffekte in Verbindung gebracht werden, es bestehen aber ernsthafte Bedenken betreffs des Wohlbefindens des Pferdes, wenn diese Technik nicht korrekt angewendet wird. Die FEI verurteilt Hyperflexion in jeder reitsportlichen Disziplin als ein Beispiel von mentalem Missbrauch."

Die Rollkur wird vor allem angewandt, um die Pferde schneller zu dressieren. Tierschützer fordern, sie zu verbieten. Im Gesundheitsministerium verweist man darauf, dass "übermäßiges Leiden" schon jetzt verboten sei: "Eine explizite Aufnahme der Rollkur in das Gesetz ist derzeit nicht angedacht."

Die Spanische Hofreitschule:

Ulrike Thiel wollte in Wien einen Kaffee trinken und dabei Fotos von der hohen Kunst des Reitens anfertigen. Deshalb knipste sie das Morgentraining eines Oberbereiters der Hofreitschule – und war erschüttert. Im Interview spricht die Sachverständige für Pferdetrainings, die in den Niederlanden lebt, über die "quälerischen Methoden" in Wien.

KURIER: Wie und wann sind diese Fotos entstanden?

Ulrike Thiel: Im Mai 2008 bei einem Wien-Besuch. Ich hätte nie gedacht, dass die Bilder so etwas auslösen werden. Ich will auch nicht gegen die Hofreitschule vorgehen, sondern eine Diskussion in Gang bringen. Als ich das Foto geschossen habe, dachte ich, es plärrt gleich jemand und beendet das. Früher hätte es das so nicht gegeben, da gab es eine Aufsicht im Training.

Was passierte danach mit den Aufnahmen?

Die habe ich an Georg Wahl (ehemaliger Oberbereiter, Anm.) und seine Lebensgefährtin weitergegeben. Ab 2009 und 2010 hat man dann die Folgen gesehen in den Aufführungen. Am drehenden Schweif und am festgehaltenen Rücken war das etwa erkennbar. Das hat nichts mit pferdefreundlichem Umgang zu tun.

Hat es danach aufgehört?

Wenn man sich die Fotos der Lipizzaner-Aufführung 2014 in Schweden anschaut, dann sieht man da immer noch die Folgen des Hyperflexion-Reitens im Training. Das letzte Bollwerk der Pferdekunst ist Geschichte geworden. Im November tritt die Hofreitschule ja bei uns in Amsterdam auf. Moderieren wird das (die dreifache Olympiasiegerin, Anm.) Anky van Grunsven. Ausgerechnet sie ist höchst umstritten und bei ihren Trainingsmethoden sind reihenweise Pferde kaputtgegangen.

Anmerkung: In einem Brief erklärt Elisabeth Gürtler, die Auswahl der Moderatoren sei nicht die Aufgabe der Hofreitschule, die als Gast auftritt.