Tausende Gegner und Anhänger werden erwartet
Von Bernhard Ichner
Die Albert-Schultz-Halle in Wien Donaustadt wird heute Ziel Zehntausender Menschen sein. Die einen sind Türken bzw. türkischstämmige Österreicher, die die Rede von AKP-Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hören wollen. Die anderen sind Demonstranten aus den verschiedensten Lagern, die gegen den umstrittenen Politiker protestieren. Laut Polizei sollen die beiden Gruppen einander nicht begegnen.
Der offiziell als privater Besuch beim Verein UETD bezeichnete Auftritt Erdogans wird allgemein als Kampf um Stimmen der Auslandstürken bei der türkischen Präsidentschaftswahl im August gewertet. Erhebliche Verkehrsbehinderungen werden erwartet. Rund 1000 Polizisten stehen im Einsatz. Die Polizei hat umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen vorbereitet.
Gegner mobilisieren
Bis Mittwochnachmittag wurden zwei Demos angemeldet: Zum einen vom „Verein zur Förderung des Gedankenguts Atatürks in Österreich“, der ab 14 Uhr von der Oper zum Sigmund-Freud-Park ziehen wird und mit etwa 1200 Teilnehmern rechnet. Start dieser Kundgebung war ursprüglich für 13 Uhr angesetzt.
Zum anderen vom „Demokratischen Bündnis gegen Erdogan“, das mehr als 40 linke Initiativen in sich vereint. Ebenfalls um eine Stunde verspätet wollen sich ab 15 Uhr bis zu 10.000 Teilnehmer am Praterstern und in der Venediger Au versammeln. Im Anschluss daran ist geplant, über die Reichsbrücke Richtung Albert-Schultz-Halle zu marschieren. Der Demo-Zug wird von der Polizei begleitet und zum Donauzentrum geführt, damit es nicht zum Aufeinandertreffen mit den Erdogan-Fans kommt.
In der Venediger Au versammeln sich auch die „Anarchist_innen“, die bereits an der Demo gegen den Akademikerball beteiligt waren. Sie mobilisierten bis zuletzt Anhänger. Türken, die gegen Erdogan demonstrieren wollen, werden auch aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn und aus Vorarlberg erwartet. Ihre Anzahl war im Vorfeld schwer abzuschätzen.
Rund um die Albert-Schultz-Halle ist während der Veranstaltung, die von 11 bis 17 Uhr angemeldet ist, mit Straßensperren zu rechnen. Zu temporären Verkehrsbehinderungen wird es auch entlang der jeweiligen Demo-Routen kommen.
Der "private" Besuch des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan in Wien war von Anfang an umstritten. In der Bevölkerung ist die Akzeptanz gering, zeigt eine OGM-Umfrage im Auftrag des KURIER: 70 Prozent der knapp 800 befragten Bürger lehnen Erdogans Besuch ab, 24 Prozent "akzeptieren das".
Erdogan hält heute in der Albert-Schultz-Eishalle eine Rede. Der offiziell als privater Besuch beim Verein UETD bezeichnete Auftritt wird allgemein als Kampf um Stimmen der Auslandstürken bei der türkischen Präsidentschaftswahl im August gewertet. In der Halle werden 7000, davor 10.000 Anhänger erwartet. Mehrere österreichische Regierungspolitiker haben im Vorfeld den Besuch kritisch bewertet. Gegen den Auftritt sind zwei Demonstrationen angemeldet. Erhebliche Verkehrsbehinderungen sind angekündigt. Die Polizei hat umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen vorbereitet.
Bevölkerung skeptisch
"Aber Akzeptanz heißt nicht, dass das auch begrüßt wird", analysiert OGM-Chef Wolfgang Bachmayer das Ergebnis. "Grundsätzlich sind diese Daten wenig überraschend. Die Menschen sind dagegen, dass er hier eine Wahlkampfrede hält. Es ist ja auch eine Novität. Kein anderer Regierungschef hat das je gemacht, kein Serbe, kein Kroate, und auch kein Deutscher, wo doch Deutschland die größte ausländische Bevölkerungsgruppe stellt."
Die Umfrage zeige aber auch generell die Skepsis der Österreicher gegenüber den Türken. "Und diese Ablehnung ist überraschend stark in allen Wählergruppen zu sehen, auch Grün-affine Wähler lehnen den Besuch mit 69 Prozent klar ab."
Am deutlichsten ist das Ergebnis bei der Generation 50+, 76 Prozent der Befragten sind dagegen. Bei den Jüngeren akzeptieren 35 Prozent den Auftritt Erdogans. Frauen sind im Urteil über Erdogans Besuch etwas milder, 66 Prozent sind gegen Erdogans Rede in der Eishalle, bei den Männern sind es 73 Prozent der Befragten.
Ein Bärendienst
Noch eindeutiger das Ergebnis bei der Frage, ob der Erdogan-Besuch die Integration der türkischen Migranten fördert, oder ob das kontraproduktiv ist. "Die Bevölkerung ist mit 82 Prozent klar überzeugt, dass das schadet. Und Erdogan schadet damit nicht nur der Integration, sondern auch der Akzeptanz der Türken in Österreich", erklärt der Meinungsforscher.
Das Problem dabei: "Ob bewusst oder nicht, Erdogan spaltet damit die heimische Bevölkerung in ein ,Ihr‘ und ein ,Wir‘. Das ist ein Bärendienst des türkischen Premiers für seine Landsleute in Österreich. Er schürt damit Ressentiments gegen die türkische Community ."
Auffallend sei zudem, dass auch bei den Grün-Wählern ("Die machen sich noch am meisten für eine Integration stark") Ablehnung und Skepsis sehr stark ausgeprägt sind. "Die grüne Wählerschaft ist gegen den Besuch und sieht eine Schädigung des Integrationsprozesses."
Blau profitiert
Kann eine Partei vom Besuch Erdogans profitieren? Bachmayer: "Ja, es ist ganz klar, dass die Freiheitlichen daraus einen Nutzen ziehen werden." Nicht zuletzt sind es die freiheitlichen Wähler, die mit 88 Prozent dem türkischen Premier am deutlichsten eine Abfuhr erteilen. Gerade einmal sieben Prozent der blau-affinen Wähler "akzeptieren" seinen Wahlkampfauftritt fern der Heimat.
Er ist mit Staatsgründer Atatürk die prägendste Figur der türkischen Republik: Premier Recep Tayyip Erdogan. Und er lässt niemanden kalt – die einen verehren ihn, die anderen hassen ihn. Dazwischen gibt es nichts. Das hat allerdings sehr mit der Politik des 60-Jährigen zu tun, die da lautet: Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich.
Diese Kämpfer-Mentalität hatte der Sohn eines Seemanns aus ärmlichen Verhältnissen schon früh entwickeln müssen, sie sollte eine Konstante seiner gesamten politischen Karriere werden. Schon als Bub musste er als Sesamkringel-Verkäufer das Einkommen der Familie aufbessern. Sein direkter Zug aufs Tor bescherte ihm später ein Angebot des Erstligisten Fenerbahce, dessen Fans, nebenbei bemerkt, heute zu den schärfsten Kritikern des Regierungschefs zählen.
Seit 2002 an der Macht
Doch nicht als Kicker sollte Erdogan seine Gegner aufmischen, sondern als Polit-Fuchs. Als Absolvent einer Religionsschule schloss er sich früh dem Islamisten-Ziehvater Necmettin Erbakan an. Mit nur 41 Jahren wurde er Oberbürgermeister der Bosporus-Metropole Istanbul. Bald schon erkannte er, dass mit der orthodoxen Ideologie Erbakans kein Staat zu machen ist. Er löste sich von seinem Mentor, gründete seine eigene Partei und gab ihr einen wirtschaftsliberalen Anstrich.
Der Coup ging auf. 2002 eroberte Erdogans AK-Partei die Mehrheit im Parlament und gab sie nicht mehr ab. Der charismatische Polit-Goalgetter eilte von Wahlsieg zu Wahlsieg. Gleichsam im Alleingang rang er die Allmacht des Militärs im Staat nieder und schoss die Opposition ins politische Abseits. Die Wirtschaft hob regelrecht ab – und mit ihr auch der Premier.
Zunehmend regierte er das Land, als ob er der Alleinherrscher wäre, was ihm den wenig schmeichelhaften Beinamen "Sultan" eintrug. Kritik oder Widerspruch duldet Erdogan nicht: Dutzende Journalisten sind inhaftiert oder wurden gefeuert; die Demonstranten des Gezi-Parks bezeichnete der Premier als Terroristen. Auch als Ende 2013 ein Riesen-Korruptionsskandal aufflog, der bis in die Regierung reichte, schaltete Erdogan in seinen bewährten Kampfmodus. Das sei ein Komplott von außen, Hunderte mit dem Fall befasste Justiz- und Polizeibeamte wurden zwangsversetzt.
Bei den Kommunalwahlen Ende März schnitt die AKP dann besser ab als erwartet – was den Polit-Polterer in seiner Strategie bestätigt haben dürfte.