Ein Wohnzimmer auf der Straße
Von Julia Schrenk
Coco sitzt mit Socke auf der Couch. Die Kapuze ihrer grünen Weste ist über den Kopf gezogen, ein Beißkorb hängt an ihrem Rucksack. Socke, das ist Cocos Hund. Coco ist 21 Jahre alt und kommt so gut wie täglich ins Tageszentrum Ester in der Gumpendorfer Straße in Mariahilf.
"Ich bin obdachlos, weil mich eine Freundin rausgeschmissen hat", erzählt Coco. Bis vor einem dreiviertel Jahr habe sie bei der Freundin gewohnt, als Gegenleistung habe sie tagsüber auf deren Sohn aufgepasst. Als ihr das zu viel wurde, erzählt Coco, habe sie ihre Freundin vor die Tür gesetzt.
Abhängigkeit
Cocos Geschichte ist ein typisches Beispiel dafür, wie Frauen in die Obdach- oder Wohnungslosigkeit rutschen. Es sind Geschichten, die nur selten erzählt werden – Obdachlosigkeit hat gemeinhin ein männliches Gesicht. Meist ist es das klischeehafte Bild eines älteren Mannes auf der Straße, der sich betrinkt. Dabei sind mittlerweile mehr als ein Viertel der Klienten (28,6 Prozent waren es 2015) der Wiener Wohnungslosenhilfe Frauen. 2010 lag dieser Anteil laut dem Fonds Soziales Wien bei 26,9 Prozent. Ins Tageszentrum Ester von Wieder Wohnen kommen täglichen zwischen 50 und 60 Frauen. Im November des Vorjahres wurde ein trauriger Rekord aufgestellt: Da suchten 76 Frauen und zwei Kinder Schutz im Tageszentrum. "Frauen rutschen oft in die verdeckte Wohnungslosigkeit", sagt Leiterin Gabriele Mechovsky. Viele Frauen schlafen dann bei Freunden oder Bekannten, bleiben länger bei gewalttätigen Partnern oder ziehen in Wohnungen, in denen sie nicht gemeldet sind. Oft würde auch eine Gegenleistung erwartet: "Miete zu zahlen etwa, oder den Haushalt zu führen, oder auch eine sexuelle Gegenleistung", sagt Mechovsky. Sie schätzt, dass zwischen 80 und 90 Prozent der Frauen, die ins Tageszentrum kommen, in ihrem Leben Gewalt erfahren haben.
Ein Bett für die Nacht
Wenn das Tageszentrum um 17 Uhr schließt, machen sich viele der Frauen direkt auf den Weg in eines der Notquartiere. Jenes für Frauen in der Gänsbachergasse im dritten Bezirk öffnet von November bis April täglich um 18.15 Uhr. 45 Frauen können dort schlafen. Es sind vor allem obdachlose Frauen aus dem EU-Ausland, die das Angebot in Anspruch nehmen. Für sie gibt es dort einen kleinen Imbiss, Kaffee und Tee. "Bis April ist es gut, aber was machen wir dann?", fragt Liliana aus Ungarn.
Zumindest die 21-jährige Coco blickt zuversichtlich in die Zukunft. "Ich habe eine Wohnung gefunden", erzählt sie der Sozialarbeiterin im Tageszentrum. Jetzt, wo diese Hürde genommen ist, will sie auch die Lehre als Malerin abschließen. Nur die Lehrstelle fehlt ihr noch. "Aber es geht bergauf", sagt Coco.