Chronik/Wien

Die Qual mit den Wahlärzten

Ein ärgerliches Nachspiel hatte für Herta T. (Name geändert) der Besuch bei einem privaten Unfallchirurgen, den sie nach einem Sturz beim Wandern konsultiert hatte. Für ein Röntgen, die Wundbehandlung und den Verband stellte er ihr 190,40 Euro in Rechnung. Von der Krankenkasse bekam sie aber nur 14,28 Euro rückerstattet. Wutentbrannt wandte sie sich an die Wiener Patientenanwaltschaft.

Fälle wie dieser landen zuletzt vermehrt auf dem Schreibtisch von Patientenanwältin Sigrid Pilz. Helfen kann aber auch sie nur beschränkt: "Wahlärzte dürfen ihren Tarif frei bestimmen. Was viele Patienten nicht wissen: Die Kassen erstatten nicht 80 Prozent der Kosten der Behandlung, sondern nur 80 Prozent des dafür vorgesehenen Kassentarifs."

Enorme Verschiebung

Das wäre an sich kein Problem, würden die Patienten mittlerweile nicht geradezu dazu gedrängt, einen Wahlarzt aufzusuchen. Während es in Wien heute trotz wachsender Bevölkerung rund 130 Kassenstellen weniger gibt, schnellt die Zahl der Wahlärzte in die Höhe. Mittlerweile gibt es bereits 891 hauptberufliche Wahlfachärzte. Das ist nur mehr unwesentlich weniger als die 918 Fachärzte mit WGKK-Vertrag. Bei den Allgemeinmedizinern stehen 736 Kassenärzten schon 423 hauptberufliche Wahlärzte gegenüber.

Bundesweit sei die Situation nicht anders, heißt es bei der Ärztekammer, in NÖ, Burgenland, Salzburg und Tirol gebe es sogar schon mehr hauptberufliche Wahlfachärzte als Kassenmediziner.

Der Hintergrund dieser Entwicklung: Für viele Ärzte ist das bestehende Kassensystem hinsichtlich Verdienstmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen einfach zu unattraktiv geworden.

Für Pilz ist es nur zu verständlich, dass die Patienten zu den Wahlärzten ausweichen, um langen Wartezeiten zu entgehen und einen Mediziner vorzufinden, der sich mehr Zeit nehmen kann. Gerecht sei dieses System aber nicht, zumal sich etliche Patienten die hohen Kosten schwer leisten könnten. "Mit ihren Versicherungsbeiträgen haben sie aber genauso Anspruch auf medizinische Leistungen."

Lösungen

Ähnlich sieht man das auch bei der Wiener Ärztekammer, sonst nur selten mit der Patientenanwältin einer Meinung: "Grundsätzlich spricht nichts gegen die Existenz einer Vielzahl an Wahlarztordinationen", sagt Vizepräsident Johannes Steinhart. "Gerade sozial schwächer gestellte Menschen sind auf ein funktionierendes Kassensystem angewiesen." Er fordert 300 zusätzliche Kassenstellen für Wien.

Pilz schlägt hingegen eine andere Therapie vor: "Das klassische Modell des Kassenarztes als Einzelkämpfer ist überholt", ist sie überzeugt. Zur Behandlung der ständig mehr werdenden, chronisch kranken Patienten, brauche es vielmehr Ärztezentren, in denen auch das nötige Pflegepersonal zur Verfügung steht. Pilz begrüßt daher auch grundsätzlich den aktuellen Gesetzesentwurf zu den Primärversorgungszentren, der von der Kammer massiv kritisiert wird. "Sie soll erst einmal darüber verhandeln", fordert Pilz, "anstatt das gleich im Vorhinein zu Grabe zu tragen".