"Das System ist katastrophal"
Von Julia Schrenk
In den Transitquartieren der Stadt Wien werden immer mehr Flüchtlinge betreut, um die sich eigentlich der Bund kümmern müsste. Der KURIER bat den Wiener Flüchtlingskoordinator und Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien zum Gespräch.
KURIER: Herr Hacker, von 6500 Transitplätzen für Flüchtlinge in Wien sind 5200 mit Asylantragsstellern belegt. Seit Kurzem registriert der Fonds Soziales Wien Flüchtlinge und stellt Servicekarten aus. Warum?
Peter Hacker: Weil das System des Bundes komplett ausgelassen hat. Das sind die berühmten obdachlosen Asylsuchenden des Innenministeriums, von denen so oft die Rede ist. Wir wollten verhindern, in diesen nicht mehr administrierbaren Strudel mithineingezogen zu werden.
Fehlen hier die Quartiere aus der Grundversorgung?
Das ist nicht der einzige Grund. Es gibt ein System, das permanent verkompliziert wird und in Wirklichkeit nie funktioniert hat. Das System des Antragstellens und Asylverfahrens ist in einem katastrophalen Zustand.
Inwiefern?
Die Erstabklärung bis zum ersten Interview sollte 48 Stunden dauern, dauert aber jetzt zwischen sechs und sieben Wochen. Daraus resultiert die große Gruppe der Asylantragssteller, die wir in Wien haben. Es hat sich niemand im Bund den Kopf darüber zerbrochen, wie das mit der Sozialversicherung oder der Verpflegung gelöst wird. Die Leute aber sind da. Und zwar zu Tausenden. Das muss man dramatisch kritisieren. Man verlässt sich drauf, dass wir das in den Ländern lösen.
20.000 Flüchtlinge halten sich derzeit in Wien auf. Wird irgendwann der Punkt erreicht sein, an dem hier niemand mehr aufgenommen werden kann?
Das ist keine Frage der Kapazität, sondern eine Frage der Akzeptanz. Wie lange kann man von einem Bundesland verlangen, dass es die Probleme der halben Republik löst? Die Innenministerin hat angeblich 1800 Plätze geschaffen, aber damit wurden großteils nur Zelte ersetzt. Wir schaffen Unterkünfte, für die eigentlich das Innenministerium zuständig wäre.
Wie lange noch?
Die Bereitschaft, permanent neue Quartiere zu schaffen, und andererseits zu sehen, dass sich der Bund nicht genügend anstrengt, ist enden wollend. In vielen Bundesländern, auch in Wien.
Trotzdem werden in Wien demnächst neue Unterkünfte für die Grundversorgung eröffnet.
Wir schaffen seit mehreren Wochen mindestens ein Quartier pro Woche. Wir ersetzen Sommerquartiere durch winterfeste, zum Beispiel eine Busgarage in Simmering. Wir haben mindestens 1500 Plätze, die bis Ende des Jahres realisiert werden. Einige Transitquartiere, wie zum Beispiel im 7., 12. und 19. Bezirk, werden zu Grundversorgungseinrichtungen. Dazu müssen aber bauliche Maßnahmen gesetzt werden. Wir überprüfen 200 Immobilien auf ihre Tauglichkeit.
Trägt ein Zaun zur Bewältigung der Herausforderung bei?
Zäune haben wir in unseren Köpfen. Wir glauben, wir können uns einsperren. Zäune grenzen nicht aus, damit grenzt man sich nur selbst ein. Das ist eine völlig verdrehte Wahrnehmung. Spielfeld funktioniert nicht, weil aus Nickelsdorf nicht gelernt wurde.