Chronik/Wien

Das Duell um Wiens Bim-Zukunft

Siemens und Bombardier rittern derzeit um den Auftrag für 150 neue Straßenbahnen in Wien. Die Auftragssumme dürfte bei 350 Millionen Euro liegen. Im November soll die Entscheidung fallen.

Bei der "InnoTrans" Schienenfahrzeug-Messe in Berlin zeigte Bombardier, wie man sich Wiens Straßenbahn der Zukunft vorstellt. Zu sehen war das "Flexity"-Modell, das künftig in Antwerpen und Gent fahren wird und auch Basis für Wien ist. Der KURIER bekam auf der Messe einen exklusiven Einblick. Innen wirkt die Straßenbahn aufgeräumt, große Fenster bringen viel Helligkeit in den Zug. Durch gefinkelte Konstruktionen wird Platz gespart.

Weitere Impressionen von Bombardiers "Flexity"-Modell:

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Besonders auffällig: Im Gegensatz zur ULF-Straßenbahn von Siemens sind die Durchgänge um einiges breiter. Dafür ist der Boden nicht ganz eben. Dort wo die Räder liegen, ist der Boden leicht erhöht, durch sanfte Rampen ist das für den Fahrgast aber kaum spürbar.

Ursprünglich wollte die Stadt am ULF festhalten. Doch nach einem Kontrollamtsbericht schrieben die Wiener Linien den Auftrag neu aus. 2012 kritisierten die Prüfer der Stadt vor allem die Anfälligkeit des ULF. Zeitweise standen 25 Prozent der Züge in der Werkstatt und waren nicht einsatzbereit.

Zuverlässigkeit

Genau hier hakt Bombardier ein. "Unsere Flexity-Modelle haben eine Verfügbarkeit von 95 bis 98 Prozent", sagt Bombardier-Chef Germar Wacker. Aber auch wenn etwas passiert, habe man vorgesorgt. So verklebt Bombardier etwa die Fensterscheiben nicht, sondern fasst sie in Gummi. "Bricht sie, kann die Scheibe in 10 Minuten getauscht werden", sagt Wacker.

Bei der Fahrzeugkonstruktion ging man "Back to the roots". Statt auf aufwendige Alu-Konstruktionen setzt Bombardier auf Stahl, der lackiert wird. Bei einem Unfall muss die Stelle nur geschweißt und neu lackiert werden. Dadurch sei die Wartung günstiger als bei der Konkurrenz, ist man bei Bombardier überzeugt.

Aber auch mit Sicherheit will man auftrumpfen. Ein Assistenz-System scannt die Straße vor und seitlich der Bim mit Kameras und warnt den Fahrer vor Kollisionen. Eine weitere Innovation ist ein Airbag, der Fußgänger vor dem Überrollt-Werden schützt. Noch ist man in der Zulassungsphase, die Flexity-Bims könnten aber jederzeit nachgerüstet werden. Der Airbag war bei der Messe jedenfalls das beliebteste Fotomotiv von Besuchern.

Siemens war in Berlin nur mit der neuen Avenio-Bim vertreten, die in München fährt – nicht aber mit dem ULF. Auch sonst hält man sich bedeckt, verweist auf die heiße Ausschreibungsphase. "Wir gehen mit dem ULF in die Ausschreibung, mit allen bewährten Vorteilen", sagt Siemens-Sprecher Walter Sattelberger. Vor allem mit einer Einstiegshöhe von weniger als 20 cm will Siemens punkten. Natürlich habe man das System aber verbessert. Zuletzt etwa mit einer Ecotram-ULF, die 13 Prozent Strom einspart.

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Ohne ihre Erlaubnis darf heute keiner heim. Angela Altgrübl sitzt spätnachts in ihrem Büro im Bahnhof Favoriten und schaut auf einen Monitor. Wie bei Tetris fahren die Rechtecke vor ihr auf und ab. Es sieht gut aus, dass sie ihre Schäfchen heute rechtzeitig ins Trockene bringt: "Alles soweit ruhig." Nur der 26er macht Probleme - aber das ist heute nicht wirklich ihr Kaffee.

"Angie", wie sie von Kollegen genannt wird, ist seit 24 Jahren Verkehrsführerin bei den Wiener Linien und die gute Seele in der größten Straßenbahn-Remise der Stadt. Ihre Aufgabe ist es, den Verkehr auf den Linien O, 71, D, 1, 6, 18 und 67 aufrechtzuerhalten und die Züge nachts wieder heimzuholen.

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"Wenn ein schwerer Unfall passiert, sitzen wir hier manchmal bis acht Uhr Früh, aber das kommt zum Glück nicht oft vor", erzählt sie. Nachtarbeit? Für sie kein Problem: "Ich bin sowieso ein Nachtmensch. Mit drei bis vier Kaffee geht das schon."

Und man hat ja auch die Bim-Fahrer für den kurzen Tratsch. Nach Mitternacht kommen die ersten Züge "heim" in die Remise. Die Fahrer müssen bei Angie ihren persönlichen Einsatzplan für den Tag abgeben. Davor gibt's kein Heimgehen, da ist die ansonsten charmante Verkehrsführerin streng.

"Ihr macht's mich nervös"

Einer hat sein Gefährt schon ins Nachtquartier gebracht. Gegen 1 Uhr Früh fährt Bim-Fahrer Djuro Sulic den letzten Zug der Linie 67 (früher "Blaue" genannt) aufs Abstellgleis. Mit Tausenden Fahrgästen ist er heute im Kreis gefahren. Auch nach Dienstschluss hat der Simmeringer mit kroatischen Wurzeln ein wachsames Auge: Für Autofahrer, die die Straßenbahn blockieren, hat er ebensowenig Verständnis wie für Reporter, die zu nah am Werkstattgraben vorbeigehen: "Ihr macht's mich ganz nervös." Erst beim Schmähführen in Angies Büro kann Sulic den stressigen Tag hinter sich lassen.

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Draußen in der Remise bricht unterdessen Hektik aus. Ein "26er" ist wegen eines Oberleitungsschadens am Kagraner Platz liegen geblieben. Die allzeit bereite Rüstwagenmannschaft rückt aus und bringt den Wagen wieder auf Schiene. Alltagsgeschäft für die harten Typen von der Einsatztruppe.

Bilder: Wenn die Straßenbahn Pause macht

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Kundenkontakt als Gretchenfrage

Der junge Spezialfacharbeiter Markus Fiedler bringt unterdessen die Kasse wieder zum Klingeln: In einer Zuggarnitur spielt der Ticketautomat verrückt. "Homma glei" - zwei Minuten später klickert das Werkl wieder. Gröbere Reparaturen an den Straßenbahngarnituren stehen heute nicht an, nur ein Lämpchen da, ein Türdefekt dort. Aufwändige Arbeiten werden ohnehin woanders, in der Hauptwerkstätte Simmering, durchgeführt.

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Langweilig wird Fiedler in der Remise trotzdem nie. Als Abwechslung setzt er sich selbst an Wochenenden ins Cockpit: "Manche Mechaniker scheuen allerdings den Kundenkontakt. Entweder man hasst es oder man liebt es." Bei ihm ist es Zweiteres: Als er das erste Mal eine Straßenbahn durch Wien steuern durfte, ging für ihn ein Bubentraum in Erfüllung.

Stinkefinger und ferngesteuerte Fußgänger

Er selbst nennt sich aber eigentlich lieber "Unfallvermeider". Autos, die die Fahrbahn blockieren, scheinbar ferngesteuerte Fußgänger, die mit Blick aufs Smartphone vor den Bug laufen, Radfahrer, die den Mittelfinger zeigen ("die bösesten sind im 7. Bezirk"): Als Straßenbahnfahrer muss man auf alles vorbereitet sein. "Vor allem im 49er und 43er wird dir nicht fad. Aber ich liebe diesen Stress." Man muss sich direkt in die anderen Verkehrsteilnehmer hinein versetzen, sagt Fiedler: "Was hat der jetzt vor?"

Aber auch hartgesottene Bimfahrer drücken manchmal ein Auge zu. Es kommt nur auf den Elan an: "Wenn einer wirklich zur Straßenbahn sprintet, mache ich ihm meistens schon noch die Tür auf."

Es ist kurz nach 3 Uhr. In eineinhalb Stunden ist die Betriebspause in Favoriten zu Ende und die Straßenbahnen quälen sich wieder hinaus in die Stadt. Fiedler schmiedet derweil Urlaubspläne. Vielleicht geht es nach New York. Es gibt nur ein Problem: "Die haben keine Straßenbahn."