Chronik/Wien

Beißattacken: "Ich habe Angst"

Alma Holländer gilt als "Grande Dame" des österreichischen Turnierreitsports. Sie arbeitete sogar als Romy Schneiders Double bei den Reitszenen in den berühmten "Sissy"-Filmen. Besonderen Ruhm erlangte sie, weil sie aus Problempferden echte Siegertypen formte. Auch nach ihrem Karriereende blieb sie diesem Motto offenbar treu: "Chico" heißt ihr aktuelles Problemtier – ein American Staffordshire Terrier aus dem Tierheim. Besonderes Kennzeichen: Äußerst bissig.

Drei Mal hat "Chico" bereits Menschen im Wiener Prater attackiert: 2011 biss er Roswitha B. zwei Mal in den Arm, ein Jahr später fügte er Holländers Nachbarn Hans Weber Fleischwunden am Knie zu. 2013 erlitt dann dessen Frau Johanna ein ähnliches Schicksal. "Chico" riss sie um und biss ihr in den Unterschenkel. Sein Beißkorb hing dabei am Hals herunter, heißt es im Polizeiprotokoll zu dem Vorfall.

"Hundeterror"

Die Stadt Wien schien das lange Zeit wenig zu kümmern. Offiziell ist bis heute sogar nur ein einzige Beißattacke bei der zuständigen MA 60 aktenkundig – obwohl es in allen drei Fällen Anzeigen bei der Polizei gab. Zwei Gerichtsverfahren wurden geführt, ein Mal wurde die Angelegenheit per Diversion geregelt. Hans Weber, dass zweite Bissopfer und Besitzer einer Schäferhündin, spricht von "Hundeterror" und versucht seit 2012 zu erreichen, dass etwas passiert – "bevor Kinder zu Schaden kommen. Ich habe richtig Angst. Deshalb habe ich an den Bürgermeister geschrieben, an die Polizei, an das Rathaus. Die Reaktion war immer gleich: Nämlich keine", ärgert sich Weber.

Das pikante an dem Fall: Holländer hat mit ihrem (kastrierten) Staffordshire Terrier laut ihren Angaben sogar zwei Mal die Prüfung zum Hundeführschein geschafft. Im Gespräch mit dem KURIER sagt sie: "Ich habe den Führschein gemacht, als er 2010 eingeführt wurde. Und dann noch einmal, weil ich meine Handtasche mit den Papieren verloren habe. Mittlerweile war jetzt ohnehin lange nichts mehr mit meinem Hund." Leise fügte Holländer hinzu: "Mindestens zwei Monate lang."

Nur mit Beißkorb

Vier Jahre nach dem ersten Biss wurde von der Polizei zu Jahresbeginn eine Beißkorbpflicht für Chico verhängt, ein Verwaltungsverfahren eingeleitet und ein neuerlicher Wesenstest angefordert. Kurios: Vor Jahren wurde Holländers Staffordshire Terrier bereits die Harmlosigkeit bescheinigt.

Die Hundebesitzerin behauptet, dass sie sich an die Beißkorbpflicht hält. Kontrahent Weber will das Tier aber oft ohne Beißkorb gesehen haben. "Wenn sie mich sieht, gibt sie ihn schnell rauf. Zuletzt am vergangenen Sonntag. Bei der Polizei hat man mir deshalb geraten, ich soll meine Kamera mitnehmen und im Fall des Falles den Hund fotografieren", sagt Weber.

Aber auch Holländer hat ihrerseits fototechnisch aufgerüstet: "Ich nehme ebenfalls meine Kamera mit, damit ich beweisen kann, dass alles okay ist", sagt sie. Sie spricht aber von Problemen mit dem Beißkorb für ihren Chico: "Für diese Rasse gibt es keinen. Ich habe schon vier verschiedene probiert und meistens ist dann seine Nase blutig geworden." Das könnte ein Grund dafür sein, warum ihr Vierbeiner ohne Beißkorb den Prater terrorisiert.

Sie gibt selbst zu: "Ich bin schon bekannt mit meinem Hund." Den Prater meidet sie mittlerweile. "Ich gehe jetzt zum Donaukanal, dort kennen mich nur wenige." Dass ihr Hund ein Problemfall sein könnte, sieht Holländer nicht: "Er will doch nur spielen. Mein Hund macht von sich aus nichts. Aber 90 Prozent der Menschen haben Angst vor ihm." Das reichte für die Behörden bisher nicht aus, um schärfere Maßnahmen zu ergreifen.

Seit 2010 müssen die Besitzer von zwölf Hunderassen (wie Rottweiler, Pitbull oder diverse Staffordshire Terrier) verpflichtend den Hundeführschein ablegen. Laut Innenministerium gab es im Jahr 2009 in Wien 356 Hundebisse. Nach der Einführung der verpflichtenden Prüfung waren es 402 und 396 im Jahr darauf. Tatsächlich stieg also die Zahl der Bisse demnach sogar leicht an. Aktuellere Statistiken sind nicht verfügbar.

Die zuständige Stadträtin Ulli Sima verweist hingegen auf eine Untersuchung der Veterinärmedizin, die im Auftrag der Stadt erfreulichere Zahlen ermittelt hat. Demnach gab es vor dem Hundeführschein rund 240 Bisse pro Jahr, danach etwas mehr als 100. Mit dem KURIER sprach sie über die aktuellen Folgen der Probleme im Prater und das „Erfolgsmodell“ Hundeführschein.

KURIER: Im aktuellen Fall soll es nun zu einem runden Tisch kommen. Was soll dabei besprochen werden?
Sima: Runder Tisch ist etwas zu hoch gegriffen. Aber es gibt eine Dauereinrichtung, da setzen sich Polizei und MA 60 zusammen und besprechen, wenn es Probleme im System gibt. Das können wir jederzeit auch kurzfristig einberufen. Da wird der Fall besprochen werden.

Die Terrierbesitzerin hat laut ihrer Darstellung den Hundeführschein zwei Mal gemacht und es gab dennoch anschließend drei Bisse ...
Das kann nicht sein. Man muss diese Prüfung nur ein Mal ablegen, das ist ja gespeichert. Sie hat ihn ein Mal gemacht und musste ein Mal zur Nachschulung. So haben wir das im Computer. Aber es gibt sehr unterschiedliche Meldungen zu diesem Fall, ist jetzt mein Eindruck. Deshalb werden wir uns das auch genauer anschauen.

Wird der Führschein etwa zu leicht vergeben?
Prinzipiell ist es beim Hundeführschein wie beim Auto-Führerschein. Es gibt trotzdem Alko-Unfälle.

Es gibt unterschiedliche Zahlen, wie sich die Zahl der Hundebisse in Wien entwickelt hat. Laut Innenministerium sind sie trotz des Führscheins sogar leicht gestiegen, laut den Rathaus-Zahlen um 63 Prozent gesunken. Es hieß, dass ältere Zahlen bei Ihnen hochgerechnet wurden.
Das stimmt nicht, die sind nicht hochgerechnet. Das sind dokumentierte Fälle. Das stammt vom Institut für Statistik, das wurde nicht einfach hobbymäßig gemacht. Bei der Zahl der Bisse von Listenhunden bei Menschen gab es sogar einen Rückgang von 70 Prozent.

Also ist der Hundeführschein für Sie ein voller Erfolg?
Er ist sicher ein schöner Erfolg. 5800 Menschen haben ihn absolviert bei 3300 Listenhunden. Mittlerweile gibt es bei den Kontrollen kaum noch Leute mit solchen Hunden, die keinen haben. Außerdem werden rund 25 Kampfhunde pro Jahr abgenommen, weil die Betreffenden beim Test drei Mal durchfallen, Vorstrafen haben oder den Führschein gar nicht machen. Aber Bissvorfälle werden nie zu 100 Prozent auszuschließen sein.