Baurechtszins steigt um das 194-Fache
Von Niki Nussbaumer
Anna Kellner ist sauer auf das sozialdemokratische Wien. "Von sozial sind die Herren im Rathaus weit weg. Die haben kein Geld, weil sie alles verprassen – und wir müssen dafür büßen", sagt die 69-jährige Pensionistin verärgert.
Seit 42 Jahren bewohnt Anna Kellner eines der 284 schmalen Häuser in der Hoffingersiedlung in Wien-Meidling, die zur Genossenschaft Altmannsdorf-Hetzendorf gehört. Hier zog sie ihre beiden Kinder alleine groß, nachdem ihr Mann sie und das sechs Wochen alte Baby verlassen hatte.
Ende 2012 laufen die Baurechtsverträge aus. In ihnen ist die Höhe der Pacht geregelt, die insgesamt vier Genossenschaften (Altmannsdorf-Hetzendorf, Siedlungsunion, Gartensiedung, Wien Süd-Ost) an die Gemeinde Wien zahlen müssen. Wohnbau-Stadtrat Michael Ludwig will nun die Erneuerung der Verträge dazu nutzen, den Baurechtszins "anzupassen". Er soll künftig 8,38 Euro pro Quadratmeter Grund betragen – das ist eine Erhöhung um das 194-Fache. Betroffen sind 5000 Menschen in 2268 Häusern.
Verärgert
Für Anna Kellner, die von 1060 Euro Pension lebt, würde das eine monatliche Mehrbelastung von ca. 300 Euro bedeuten. "Ich müsste mir wohl einen Mann suchen, der mich erhält", sagt sie mit bitterem Humor.
Bis jetzt zahlte Kellner für knapp 80 m² Wohnfläche 180 Euro Zins an die Gemeinde Wien. "Natürlich ist das sehr günstig. Aber den Acker, den sie uns damals gegeben haben, haben wir Siedler erst urbar gemacht."
Ein Rückblick: Nach dem Ersten Weltkrieg zwangen Not, Elend und Obdachlosigkeit einige Selbsthilfegruppen dazu, mehrere Areale in Meidling zu besetzen. Sie schlossen sich zur Genossenschaft Altmannsdorf-Hetzendorf zusammen und errichteten in Eigenregie Häuser; für jedes Haus mussten 2000 Stunden an "Muskelhypothek" geleistet werden. Sogar die Ziegel wurden selbst gefertigt. Kellner: "Das war minderwertiges Baumaterial." Einmal kam bei ihr das Badezimmer in die Küche durchgebrochen.
Enteignet
1922 wurden die ersten Häuser bezogen. Per Los war zuvor entschieden worden, welcher Siedler das Nutzungsrecht für welches Haus bekommt. Gleichzeitig leitete die Gemeinde Wien ein Enteignungsverfahren ein, wodurch die besetzten Gründe ins Eigentum der Stadt Wien kamen. 1932 wurde dann ein Baurechtsvertrag zwischen Gemeinde und Genossenschaft geschlossen – der jetzt ausläuft.
Investiert
In etlichen Häusern leben heute noch Nachfahren der ersten Siedler, teilweise bereits in fünfter Generation. Auch Andreas Baumruck wuchs in der Hoffingersiedlung auf, nun ist er selbst am Renovieren. "Meine gesamte Zeit und Energie fließt in das Haus", erzählt er. Und viel Geld. Mehr als 120.000 Euro hat der 45-jährige Familienvater in den vergangenen drei Jahren in den Bau gesteckt – und noch immer ist das Haus nicht bewohnbar. "Das war Substandard, als wir es übernommen haben." Es gab kein Badezimmer, auch sämtliche Rohre und Installationen waren defekt. "Ich musste Mauern tauschen und das Fundament sanieren."
Umso mehr ärgert Baumruck die geplante Baurechtszinserhöhung. "Es war klar, dass die Gemeinde Wien die Pacht heraufsetzen wird. Aber das Ausmaß der Erhöhung war so nicht absehbar."
Hätte er gewusst, dass er künftig monatlich ca. 450 Euro mehr zahlen muss, hätte er die Bauruine wohl nicht übernommen.
Stadt Wien: "Neue Verträge sind ausgewogen und gerecht"
Im Büro von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig zeigt man Verständnis für die Aufregung der Mieter und ist "an der Lösung eines Gesamtpakets" interessiert, wie es heißt.
Gleichzeitig betont man, dass die bereits ausgehandelten Verträge sozial ausgewogen und gerecht seien – und "gegebene extreme Missverhältnisse" bereinigen würden.
Um das zu untermauern, bringt man folgendes Beispiel: Der durchschnittliche Mieter der betroffenen Siedlung verfügt über eine Parzellengröße von 369 Quadratmetern und eine Wohnfläche von 80 m²; er zahlt derzeit 264 Euro (davon sind 3,3 Euro Bauzins), im Jahr 2022 wären es 543 Euro (davon 258,3 Euro Bauzins). Dagegen sei es selbst im Gemeindebau teuer: Dort betrage die monatliche Miete (inkl. Betriebskosten) für einen Neumieter einer 80-m²-Gemeindewohnung 599,68 Euro.