Auf säumige Betriebe rollt Klagsflut zu
Von Bernhard Ichner
Bevor Theresia Haidlmayr die Angebote im Schaufenster begutachtet, schaut sie sich den Eingangsbereich des Geschäfts an. Denn schon eine kleine Stufe bedeutet für die Rollstuhlfahrerin ohnehin meist Endstation. Ab 1. Jänner 2016 muss sie das nicht mehr einfach so hinnehmen. Denn mit diesem Tag endet die zehnjährige Übergangsfrist des Behindertengleichstellungsgesetzes. Dann müssen alle öffentlich zugänglichen Gebäude barrierefrei sein. Sind sie es nicht, können Menschen, die sich dadurch diskriminiert fühlen, klagen. Frau Haidlmayr hat das auch vor.
Sie will nicht jeden säumigen Unternehmer vor Gericht bringen, betont die ehemalige grüne Nationalrätin – denn da hätte sie viel zu tun. Immerhin betrifft das Gesetz Ämter und Supermärkte, Gastronomie, Hotellerie, Handel, Theater, Kinos, Frisöre usw. Aber zumindest diejenigen, die sich unkooperativ zeigen.
Ein Lokalaugenschein auf der Mariahilfer Straße zeigt, dass bei Weitem noch nicht alle Betriebe barrierefrei sind. Etwa 50 Prozent sind nur über Stufen erreichbar. Zehn Zentimeter Höhe, die Gehenden kaum auffallen, für Rollstuhl oder Kinderwagen aber zur Hürde werden.
"Viele offene Fragen"
Ab 1. Jänner ist die Barrierefreiheit zwar Pflicht, die Behörde kontrolliert aber nicht flächendeckend, ob das Gesetz befolgt wird. Das Ganze funktioniert viel mehr nach dem Motto "Wo ein Kläger, da ein Richter": Fühlt sich jemand mangels Barrierefreiheit diskriminiert, kann er den Unternehmer klagen.
Das Gericht prüft dann den Status-quo und evaluiert, ob behindertengerechte Maßnahmen – etwa die Schaffung eines barrierefreien Eingangs oder Behindertentoiletten – dem Betrieb finanziell zumutbar wären. Verliert der Unternehmer das Verfahren, muss er Schadenersatz zahlen.
Etliche Wirte bestätigen das. Robert Kardos, der auf der Dominikanerbastei ein bei Touristen beliebtes Restaurant führt, gehört zu den besorgten Gastronomen.
Eigenverantwortung
Wie andere Berufskollegen erhofft er sich Aufklärung durch die Wirtschaftskammer. Dort bemüht man sich zwar bereits seit drei Jahren um die Bereitstellung der nötigen Informationen – durch ein eigenes Diversity-Referat, auf Veranstaltungen, auf der Homepage oder zuletzt durch eine in Kooperation mit dem Sozialministerium herausgegebene Broschüre.
Dobcak räumt aber ein, dass es mitunter schwierig sei, "die Aufmerksamkeit der Kollegen zu erlangen". Er appelliert an die Eigenverantwortung der Unternehmer.