Chronik/Wien

Auf Nachtstreetwork: "Johnny braucht nichts, Johnny hat alles"

Auf vier Matratzen liegen sie. In dünnen Schlafsäcken eng aneinander, im hintersten Eck einer abgesperrten, verwilderten Wiese in Wien-Simmering. Neben ihnen ein ausrangierter Zirkuswagen, Plastiksäcke und Sperrmüll. Es sind vier junge Burschen aus der Slowakei, die dort ein Nachtlager aufgeschlagen haben. Auch ein Hund ist da. Mit ihrem Weihnachtsmantel ist Hündin Sunny die einzige, die der Jahreszeit entsprechend gekleidet ist.

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"Hello? Caritas!", sagen Susie Peter und Günter Kölbl, als sie sich dem Matratzenlager nähern. Die beiden sind Sozialarbeiter in der Gruft, der Obdachloseneinrichtung der Wiener Caritas in Mariahilf. Im Winter fahren täglich zwei Teams mit dem Kältebus durch die Stadt. Die Sozialarbeiter suchen die Schlafplätze von Obdachlosen auf und gehen Hinweisen nach, die über das Kältetelefon (siehe Bericht rechts) eingetroffen sind.

"Fläche mit Glashaus; Achtung, Betonbunker" lautet die kryptische Meldung zum Matratzenlager der jungen Slowaken. Um 5.51 Uhr ist der Hinweis gekommen, am selben Tag kurz vor Mitternacht sind die Sozialarbeiter dort. Es ist die letzte Station der nächtlichen Streetwork-Tour. Begonnen hat sie kurz vor 19 Uhr am Döblinger Steg.

Wein und Winterfell

Ein Mann soll dort im Schlafsack auf einer Parkbank leben. Die Streetworker beginnen auf der Seite des 20. Bezirks. Doch dort ist niemand, weder auf der Brücke, noch darunter. Sie gehen hinüber in den 19. Bezirk. Und tatsächlich: Da sitzt ein Mann, auf einer Tuchent, eingewickelt in einen Schlafsack und bedeckt mit Fell. "Wunderschönen guten Abend", sagt er. Ganz freundlich und nicht nur zu den Streetworkern. "Fertig für heute?", fragt er eine Frau, die ihr Rad über die Treppen zur Brücke hievt.

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Johnny ist 46 Jahre alt und stammt aus Transsilvanien. Eine Wohnung hat er nicht, duschen geht er in die Donau, erzählt er. Susie Peter und Günter Kölbl fragen Johnny und seinen Freund Janoschka, ob sie winterfeste Schlafsäcke brauchen oder ins Notquartier mitfahren möchten. Doch Johnny lehnt ab. "Johnny braucht nichts. Johnny hat alles", sagt er und nimmt einen Zug von der Rotweinflasche. "Sogar Schokolade." Die Tafel Traube-Nuss, die vor ihm auf dem Boden liegt, hat ihm jemand geschenkt. Er will, dass die Sozialarbeiter Eltern und Kindern helfen, die zu wenig haben. Ihm sei auch nicht kalt, obwohl es nur ein Grad hat. "Johnny hat eine Jacke, aber warte bissi." Dann stellt er die Weinflasche ab, zieht den Reißverschluss seiner Jacke auf und zählt: "Eine Jacke, zwei Jacken, drei, vier, fünf Jacken hat Johnny!"

Während die Menschen niesend an ihm vorübergingen, sei ihm erst bei minus 24 Grad kalt, betont er. Die Plätze im Winterquartier sollen die Sozialarbeiter deshalb anderen geben. "Bei Streetwork geht’s auch darum, zu erkennen, ob jemand gefährdet ist oder nicht", sagt Susie Peter später. Und Johnny ist nicht gefährdet.

Einmannzelt für Zwei

Ob das auch bei den Bewohnern eines Zelt auf der Donauinsel so ist, wissen Peter und Kölbl nicht. Alles, was sie an Information haben, ist eine Wegbeschreibung in den Wald hinein, die wie eine Schnitzeljagd klingt: "Beim alleinstehenden Baum geht rechts ein Treppelweg in den Wald hinein. Geht den Weg 100 Meter." Ein Mal müssen die Sozialarbeiter von vorne beginnen, dann finden sie das Zelt, aber keine Menschen. Als sie mit dem Bus weiterfahren wollen, bemerken sie zwei junge Leute, die voll bepackt in den Wald stapfen. Es sind zwei Ungarn, deren einziger Unterschlupf das Einmannzelt im Wald ist. Die Caritas versorgt sie mit dicken Jacken und Schuhen.

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Auch Istvan hat kein Zuhause. Als ihn die Caritas findet, liegt er in einem Hauseingang am Franz-Josefs-Kai, die Füße auf dem Gehsteig. Menschen gehen an ihm vorüber, ein Mann legt ihm einen Gugelhupf hin. Doch Istvan bemerkt das nicht – er schläft und neben ihm flackert eine Grabkerze. Die Sozialarbeiter müssen laut werden, um ihn zu wecken. Doch dann dauert es nicht mehr lang, bis sich Istvan entscheidet, die Nacht in einem Notquartier zur verbringen. Mit dem Kältebus bringen ihn die Sozialarbeiter in eine Notschlafstelle am Enkplatz. Ein großer Erfolg für die Streetworker. "Da war viel Vorarbeit notwendig", sagt Susie Peter.

Immer mehr Anrufe beim Kältetelefon

Seit 2012 gibt es das Kältetelefon der Wiener Caritas ( 01/480 45 53). Wer dort anruft, kann sieben Tage die Woche, rund um die Uhr Schlafplätze von Obdachlosen melden. Anhand der Anrufe stellt die Caritas dann Touren zusammen, die die Sozialarbeiter mit dem Kältebus abfahren.
Die Anruferzahlen steigen: Während es nach Einführung des Projekts 200 pro Monat waren, sind es mittlerweile 60 pro Tag. Allein von 2. November – als die Leitungen für diesen Winter geöffnet wurden – bis 17. Dezember dieses Jahres gingen 1578 Meldungen ein: ein Rekord.
Neu ist, dass nun 65 Freiwillige an den Telefonen sitzen und die Hinweise entgegen nehmen. Zusätzlich gibt es 50 freiwillige Dolmetscher, die in 23 Sprachen übersetzen. Diese können die Sozialarbeiter während der Streetwork anrufen.
Erstmals gibt es nun auch in den Bundesländern Kältetelefone. Und zwar in Kärnten ( 0676/898527 9020), in der Steiermark ( 0676/880 15 111), in Salzburg ( 0662/871240 und 0676/848210651) und Vorarlberg ( 05522/2001700)

Spendenkonto: IBAN: AT16 3100 0004 0405 0050. Kennwort: Gruft Winterpaket.
Online-Spenden: www.gruft.at