Chronik/Welt

Frankreich gedenkt der Opfer der Pariser Terror-Anschläge

In Frankreich haben die Gedenkzeremonien zum zweiten Jahrestag der Pariser Terroranschläge begonnen. Staatspräsident Emmanuel Macron legte am Montagmorgen einen Kranz vor einer Gedenktafel am Stade de France im Vorort Saint-Denis nieder, anschließend hielten die Anwesenden für eine Schweigeminute inne.

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An dem Stadion hatten am 13. November 2015 während des Fußballspiels Frankreich gegen Deutschland die koordinierten Anschläge begonnen - bei den Angriffen auf die Konzerthalle Bataclan, mehrere Restaurants und Cafes sowie das Fußballstadion Stade de France waren insgesamt 130 Menschen getötet und mehr als 350 verletzt worden.
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Allein im "Bataclan" starben 90 Menschen. Der beliebte Veranstaltungsort mit rund 1.500 Plätzen war für ein Konzert der US-Rockband Eagles of Death Metal ausverkauft. Drei Männer mit Sturmgewehren drangen während des Konzerts in den Musikclub ein, schossen in die Menge und nahmen Geiseln. Nach gut zweieinhalb Stunden begannen Einsatzkräfte, den Club zu stürmen. Eine halbe Stunde später waren die überlebenden Konzertgäste befreit. Die drei Terroristen starben; zwei zündeten ihre Sprengstoffgürtel, der dritte wurde von der Polizei erschossen. Zu den Attentaten bekannte sich die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).
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Macron sollte anschließend auch die anderen Anschlagsorte besuchen. Dabei sollten jeweils die Namen der Opfer vorgetragen werden. Die für Frankreich beispiellosen Anschläge hatten das Land schwer erschüttert.

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Frankreichs Inlandsgeheimdienst DGSI rechnet derzeit nicht mit einer massiven Rückkehr französischer Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) nach Europa. "Wir stehen nun Kämpfern gegenüber, die ziemlich entschlossen sind, in den Rückzugsgebieten des IS zu bleiben in der Annahme, nach Malaysia, Indonesien oder Afghanistan geschickt zu werden", sagte Behördenchef Laurent Nunez "Le Figaro".

"Das privilegierte Szenario ist derzeit nicht das einer massiven Rückkehr" aus den Kriegsgebieten in Syrien und im Irak. Die mögliche Rückkehr kampferprobter IS-Anhänger nach den militärischen Rückschlägen für die Terrormiliz bereitet nicht nur Frankreich Sorgen. Die Pariser Behörden gehen davon aus, dass sich noch 686 Männer und Frauen in dem Kriegsgebiet aufhalten, die entweder Franzosen sind oder in der Vergangenheit in Frankreich gelebt haben. Dazu kämen rund 500 Kinder, sagte Nunez.

Bisher seien 244 Männer und Frauen sowie 58 Kinder aus dem syrisch-irakischen Gebiet nach Frankreich zurückgekehrt. Die Erwachsenen stünden zum Großteil unter Aufsicht der Justiz, alle würden vom Inlandsgeheimdienst überwacht. Zuletzt seien aber weniger Franzosen zurückgekommen - seit Jänner seien nur neun Rückkehr-Fälle registriert worden, überwiegend Frauen mit Kindern.

Nunez sagte anlässlich des zweiten Jahrestags der Pariser Terroranschläge am Montag, dass die Bedrohungslage für Frankreich hoch bleibe.

Stammt ein Attentäter aus dem angegriffenen Land, so spricht man von "homegrown terrorism". Übersetzt bedeutet der englischsprachige Begriff: "selbst gezüchteter Terrorismus" oder "hausgemachter Terrorismus".

Es kann sich bei den Tätern dann um Kinder von Einwanderern handeln, die über Jahrzehnte in Ländern mit westlicher Staats- und Gesellschaftsordnung sozialisiert wurden - oder um Staatsbürger, die zum Islam übertraten und sich immer weiter radikalisierten.

Sie kennen sich besonders gut mit der Sprache, den Regeln und der Umgebung in den Zielländern aus. Eine Radikalisierung geschieht häufig über Internetpropaganda. Gibt es eine praktische "Ausbildung" zum Terroristen, findet sie oft in Trainingslagern im Ausland statt.

Zu den "homegrown"-Terroristen zählen etwa einige der Angreifer bei der Anschlagsserie in Paris im November 2015 unter anderem auf den Club "Bataclan". Auch die Attacke auf die Londoner U-Bahn 2005 und die Bombenanschläge auf Pendlerzüge in Madrid 2004 werden in der Regel dem "homegrown"-Terrorismus zugerechnet.

Seit sie vor zwei Jahren in dem Pariser Musikclub Bataclan lebendig unter Toten lag, hat Laura Leveque das Gefühl, auf ihren Schultern "130 Leichen zu tragen". Die Überlebende der Anschläge vom 13. November 2015 hat sich Tattoos stechen lassen, um ihren "Körper wiederzubekommen und den Horror in etwas Schönes zu verwandeln", wie die 32-Jährige sagt.

Ihre linke Schulter zeigt unter anderem einen schwarzen Raben und eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt - als Symbol für den "Kreislauf des Lebens". Tattoos als Gedenken, das unter die Haut geht: Das gab es auch nach den Anschlägen im britischen Manchester im Mai. Dort ließen sich viele Menschen eine Biene stechen - das fleißige Insekt ist seit der industriellen Revolution Symbol der Stadt.

Das Pariser Gegenstück zur Biene ist das Stadtmotto "Fluctuat nec mergitur" - "Sie schwankt, aber geht nicht unter", heißt es übersetzt aus dem Lateinischen. Auf dem Stadtwappen steht es unter dem Bild einer Barke, die unbeirrt durch die Wellen zieht. Unter diesem Motto gingen nach den Pariser Anschlägen vor zwei Jahren zehntausende Menschen auf die Straße.

Manon Hautecoeur hat sich den Wahlspruch auf den Innenarm tätowieren lassen. "Wenn man nur psychisch verletzt ist, kommt es einem so vor als sei man kein Opfer, denn man trägt ja keine Spuren am Leib." Das Tattoo sei ihre "Narbe", fügt die junge Frau hinzu, die sich am Abend der Anschläge in der Nähe eines Restaurants aufhielt, auf das die Terroristen der IS-Miliz das Feuer eröffneten.

Andere Überlebende der Pariser Anschläge haben sich die orientalische Fassade des Musikclubs Bataclan auf ihre Arme oder Schultern tätowieren lassen, das Datum des 13. November 2015 oder Zitate der US-Band Eagles of Death Metal, die an jenem Abend im Bataclan auftrat.

"Das Tattoo ist eine Möglichkeit, sich eine neue Haut zu geben, es steht für eine Wandlung", sagt der Soziologe David le Breton von der Universität Straßburg. Den Überlebenden der Anschläge ermögliche es, "sich die Tragödie neu anzueignen und zugleich den Toten treu zu bleiben". Denn die Lebenden hätten alle die gleiche Erfahrung gemacht: "Dem Tod ins Auge geblickt zu haben und doch unbeschadet geblieben zu sein."

Für viele Überlebende ist Freitag, der 13. November 2015 so etwas wie ein zweites Geburtsdatum. Stephanie Zarev hat sich deshalb den mythischen Vogel Phönix stechen lassen, der aus der Asche aufersteht. Er bedeckt ihren gesamten linken Oberarm, wo sie ein Streifschuss getroffen hat. Für die 44-Jährige drückt das Tattoo aus, "dass es trotz des Horrors jenes Abends noch viele lebenswerte Dinge gibt".

Viele der Überlebenden haben bei den Anschlägen aber auch Freunde oder nahe Angehörige verloren. Für sie sind die Tattoos ein Zeichen der Trauer und der Verbindung zu den Toten. Fanny Proville hat im Bataclan ihren Freund Olivier verloren. Auf ihrem Rücken steht der eintätowierte Satz: "Sometimes you need to let things go." (Manchmal muss man etwas loslassen) Fanny Proville sagt: "So weiß ich, dass Olivier da ist, selbst wenn er nicht mehr lebt."

Von Marie Giffard/AFP