Was wir vom neuen Papst erwarten
Zu Mittag sprach Papst Benedikt XVI. sein vorletztes Angelus-Gebet auf dem Petersplatz in Rom. Tausende Menschen waren gekommen, um den Worten des scheidenden Papstes zu lauschen. Die Behörden haben Vorkehrungen getroffen, um den Ansturm von Gläubigen, Touristen, Berichterstattern und Schaulustigen zu bewältigen.
Der neue Papst
Am 28. Februar wird Papst Benedikt XVI. dann zurücktreten. Was soll seinen Nachfolger auszeichnen?
„Alles hängt von der nächsten Papstwahl ab“, sagt der Ratzinger-Biograf Andreas Englisch („Benedikt XVI. – Der deutsche Papst, Bertelsmann 2011): „Setzen sich die Italiener durch, wäre das ein Rückschritt für eine globalisierte Kirche. Die Italiener haben immer gemacht, was sie wollen.“ Setzt sich hingegen der internationale Block durch, käme das „einer De-Facto-Entmachtung Roms gleich.“ Die Einschätzung des Vatikan-Experten zeigt die zukunftsweisende Bedeutung des nächsten Konklave, das, wie am Samstag bekannt wurde, möglicherweise schon vor dem zunächst avisierten 15. März startet. Der KURIER hat zwölf prominente Katholiken befragt, was sie sich vom nächsten Papst erwarten.
„Der neue Papst muss jemand sein, der die eigentlichen Themen anpackt und sich die Auseinandersetzung mit der modernen Zeit nicht erspart. Dazu muss er sich mit dem System Vatikan anlegen und die Strukturen dort aufbrechen. Das kann nur jemand, der von innen kommt, ein Vatikan-Insider. Alle, die von außen kommen, werden sich schwer tun, das gilt auch für Kardinal Christoph Schönborn. Ganz wichtig ist, dass der künftige Heilige Vater mit den Bischöfen zusammenarbeitet, sie in die Kirchenleitung einbezieht. Gemeinsam müssen sie Reformen ermöglichen. Das Pontifikat Benedikt XVI. waren sieben Jahre, in denen für die Kirchenreform nichts geschehen ist.“
Gerhard Wagner
Adolf Holl
Hans-Peter Hurka
Andreas Englisch
Gerda Schaffelhofer
Hubert Feichtlbauer
„Der neue Papst sollte das Vaticanum II auch in der Kirche umsetzen: Menschenrechte, Subsidiarität, Kollegialität. Er sollte Wesentliches und weniger Wichtiges in der Glaubens- und Sittenlehre erkennbar machen. Er sollte den eurozentrischen Blick der Kirche in Richtung anderer Kontinente ausweiten. Und er sollte genug Menschenkenner sein, um zwischen loyalen Kritikern und Speichelleckern zu unterscheiden. “
Sigrid Müller
Paul Zulehner
Klaus Küng
„Ich erwarte mir, dass der neue Papst die Kirche gut durch eine schwierige Zeit führt, und dass wir ihn alle darin unterstützen. Es braucht, und das ist der Wunsch von vielen, eine Kurienreform. Da geht es darum, die Verwaltungsstrukturen effizient und transparent zu machen, um damit Korruption in die Schranken zu weisen.“
Mitarbeit: G. Markus, M. Rauscher-Weber, A. Schwarz
Sie waren alles, was Menschen nur sein können, die rund 265 Päpste in der katholischen Kirche: Man findet unter ihnen Intriganten, Despoten, Kriminelle, Mörder und sexbesessene Monster. Aber natürlich auch grundgütige, vorbildliche Diener Gottes und Heilige im wahrsten Sinn des Wortes. Ja, das alles gab es in 2000 Jahren Kirchengeschichte.
„Heilige Inquisition“
Beginnen wir mit einem Bösen: Papst Gregor IX. war es, der im 13. Jahrhundert die kirchliche Inquisition und damit die Tötung unschuldiger Menschen, die man „Ketzer“ nannte, begründete. In den folgenden drei Jahrhunderten wurden Hunderttausende unschuldige Menschen in ganz Europa Opfer der „Heiligen Inquisition“, bei der die Kirche eine mehr als unrühmliche Rolle spielte.
Dabei war besagter Papst Gregor der Neffe eines der bedeutendsten Päpste der Kirchengeschichte, nämlich Innozenz III., der durch Reformen die Führungsstellung des Bischofs von Rom über die Christenheit sicherte und zu ihrem Höhepunkt führte.
Vetternwirtschaft
Beim Thema Onkel–Neffe sind wir bei einem weiteren historischen Schwachpunkt angelangt: dem Nepotismus. Dutzende Päpste insbesondere aus den italienischen Adelsgeschlechtern der Medici, Barberini, Borghese und der Borgia setzten Söhne, Neffen oder ihre homosexuellen Geliebten als Kardinäle oder gar als päpstliche Nachfolger ein.
Vor allem in der Renaissance verstießen viele „Nachfolger Christi“ gegen alle nur erdenklichen kirchlichen (und weltlichen) Gesetze, wobei Papst Alexander VI. eine der schillerndsten Figuren war: Rodrigo Borgia, wie er eigentlich hieß, wurde 1492 vermutlich durch Bestechung zum Papst gewählt, ohne davor die Priesterweihe empfangen zu haben. Alexander war, als er den Stuhl Petri bestieg, Vater von acht unehelichen Kindern und während seines Pontifikats kamen mindestens zwei weitere dazu. Bei einer Audienz staunte ein kaiserlicher Gesandter über ein kleines Mädchen, das zu Füßen des Heiligen Vaters saß und ihn „Papa“ nannte.
Alexander VI. war einer der Päpste, die sich und seine Kinder und Mätressen auf Kosten der Kirche enorm bereicherten. Und er stand unter dem verheerenden Einfluss seines Lieblingssohnes Cesare, der den Vatikan in Kriege und politische Intrigen verwickelte.
So sehr die Päpste auf die sexuelle Enthaltsamkeit ihrer Priester, Ordensmänner und Nonnen bedacht waren, so wenig hielten sich viele von ihnen selbst daran. Im 15. und 16. Jahrhundert war kaum ein Pontifex päpstlicher als der Papst, weshalb schönen jungen Frauen (und auch Männern) die Türen zum Vatikan offen standen.
Orgien im Vatikan
Nicht nur in der Renaissance, auch im „Dunklen Jahrhundert“ vor dem Jahr 1000 trieben etliche Päpste ihr Unwesen. Einige waren in schwere Verbrechen verwickelt, manche verkauften ihr Amt, andere fügten dem Ansehen Roms wiederum durch ihr ausschweifendes Sexualverhalten Schaden zu. Papst Johannes XII. bezahlte das mit seinem Leben, als er im Jahre 963 angeblich vom Ehemann einer seiner Gespielinnen während des Geschlechtsakts erstochen wurde.
Moralische Instanz
Einer der großen Päpste, die maßgeblich dazu beitrugen, war Johannes XXIII., der 1962 das Zweite Vatikanische Konzil einberief und damit die Kirche in ein neues Zeitalter führte – oder zumindest führen wollte, denn manche seiner Dekrete sind noch immer nicht umgesetzt. „Es wäre die wichtigste Aufgabe des künftigen Papstes“, meint Professor Liebmann, „dort fortzusetzen, wo Johannes XXIII. aufgehört hat“ (siehe dazu Interview auf Seite 11).
„Unfehlbarkeit des Papstes“
Gegen jede Neuerung wandte sich auch Pius X., der 1910 alle Priester einen „Antimodernisteneid“ schwören ließ, der erst 1967 durch Paul VI. aufgehoben wurde.
Im Kreuzfeuer der Kritik stehen zwei weitere „Piuse“: Papst Pius XI. war es, der 1933 mit Hitler-Deutschland das „Reichskonkordat“ abschloss, das ihm den Vorwurf einbrachte, nicht vehement genug gegen den Nationalsozialismus aufgetreten zu sein – auch wenn ihm zugute zu halten ist, dass er die NS-Ideologie in der 1937 verfassten Enzyklika „Mit brennender Sorge“ verurteilt hat.
Die Pius-Päpste
Der für Maximilian Liebmann dennoch zu den bedeutendsten Päpsten zählt: „Johannes Paul II. hat zwei Großtaten gesetzt. Erstens die Entschuldigung im Petersdom für die Verfehlungen der Kirche im Lauf der Jahrhunderte, von den Kreuzzügen bis zur Inquisition. Früher hat man nur gesagt, all das sei aus der Zeit heraus zu verstehen, doch durch die Entschuldigung Johannes Pauls II. ist diese Argumentation zusammengebrochen. Seine zweite Großtat war der Brief, den er in der Klagemauer in Jerusalem deponierte, mit dem er sich für das Verhalten der katholischen Kirche den Juden gegenüber entschuldigte.“
Unvergleichlicher Rücktritt
Wo wird man unter den bisher rund 265 Päpsten – die genaue Anzahl kennen wir nicht – den scheidenden Papst einordnen? „Benedikt XVI. geht als Mann der Glaubenslehre und durch seine Trilogie über Jesus Christus in die Geschichte ein“, meint Liebmann, „aber auch durch die Art und Weise seines freiwillig gewählten Rücktritts, der mit keinem Rücktritt seiner Vorgänger vergleichbar ist.“ Kritisch sieht Liebmann, dass Benedikt „die Kirchenleitung zu wenig in Händen hielt, er hat die Kirchenpolitik zu sehr seiner Umgebung überlassen. Dadurch ist in den wichtigen Fragen viel zu wenig weitergegangen.“
Petrus und seine Nachfolger
Der Papst wird in der katholischen Kirche als „Statthalter Christi auf Erden“ gesehen. Der Überlieferung nach kam der Heilige Petrus im Jahre 42 n. Chr. nach Rom, wo er zum ersten Papst erklärt wurde und 25 Jahre bis zu seinem Märtyrertod regierte.
Gegenpäpste
Petrus hatte bisher rund 265 Nachfolger, dazu kommen etliche Gegenpäpste, die durch Spaltung oder Streit innerhalb des Kardinalskollegiums (meist unrechtmäßig) ihr Amt antraten. Auch die genaue Anzahl der Gegenpäpste ist nicht bekannt.
Gewaltig waren die Intrigen und Verbrechen im Vatikans schon im Mittelalter: Allein im 10. Jahrhundert wurden fünf Päpste ermordet oder sie starben in Gefangenschaft. Die meisten Päpste lebten in Rom, im 14. Jahrhundert regierten sieben von der Kirche anerkannte Päpste im Exil in Avignon.
Päpstin Johanna
Einer Legende nach gab es im 11. Jahrhundert eine Päpstin namens Johanna, deren tatsächliche Existenz jedoch zweifelhaft ist. Eine der vielen Erklärungen besagt, dass sich Johanna als Mann verkleidet hätte und Johannes nannte. Der Schwindel flog auf, als „der Papst“ schwanger wurde.
Päpste und die Kunst
Papst Julius II. ließ den heutigen Petersdom errichten. Er und andere Päpste zählen zu den Auftraggebern bedeutender Künstler wie Michelangelo, Botticelli, Raffael und Leonardo da Vinci.
Papst Sixtus IV. gab im 15. Jahrhundert den Bau der nach ihm benannten Sixtinischen Kapelle in Auftrag, in der in wenigen Wochen das Konklave zusammentritt, das den nächsten Papst wählt.
Er ist mit seinen 44 Hektar der kleinste Staat der Welt, und dennoch zieht der Vatikan immer wieder das Interesse der ganzen Welt auf sich. Skandale, Morde, Intrigen in Verbindung mit Macht und Geld boten seit jeher Stoff für Verschwörungstheorien und trugen zur Faszination des Vatikan bei.
Nicht nur die Bücher von Dan Brown, die eine große Öffentlichkeit über Mythen und Geheimniskrämerei im Vatikan spekulieren ließen, sind ein Fressen für Verschwörungstheoretiker. Immer wieder gab es spektakuläre Kriminalfälle, bei denen Geheimlogen, die Mafia und Geld für Schlagzeilen, Bücher und Serien sorgten.
Als Nachfolger des Apostels Petrus mit Unfehlbarkeit ausgestattet, genießt das Amt des Papstes eine unvergleichliche Stellung mit Einfluss. Immer wieder kam es zu Konflikten um Macht und Geld.
Auch in jüngerer Geschichte sorgten spektakuläre Fälle für Aufsehen. Etwa der Tod von Papst Johannes Paul I. im Jahr 1978. Nur 33 Tage nach Amtsantritt fand man ihn tot in seinem Bett auf. Die Papiere, in denen er gelesen hatte, sowie seine Brille verschwanden, zudem gab es widersprüchliche Angaben zum Auffinden des Toten.
Offene Fragen
Hatte man den Papst vergiftet, weil er eine verbotene Loge auffliegen lassen wollte? Oder weil er Malversationen der Vatikanbank IOR auf den Grund gekommen war? Der Vatikan sprach von einem Herzleiden, fachte jedoch vielfältige Vermutungen an, indem er auf eine Autopsie verzichtete.
Ein weiterer Todesfall lieferte 1982 Anlass für Theorien: Der niemals aufgeklärte Mord am „Bankier Gottes“ Roberto Calvi, der von einer Brücke in London baumelnd gefunden wurde – mit Geld und Ziegelsteinen in den Taschen. Calvi, mit besten Kontakten zur IOR, dürfte in undurchsichtige Geschäfte verwickelt gewesen sein. Die Mitgliedschaft in der Geheimloge „Propaganda Due“ sowie seine Mafia-Kontakte gaben immer wieder Anlass zur Spekulation über die Hintergründe seines Todes und seine Beziehung zum Vatikan.
Die jüngste Affäre ist noch kein Jahr alt: Vatileaks. Paolo Gabriele, Diener von Benedikt XVI., stahl über einen längeren Zeitraum systematisch Akten, in denen es um Machtkämpfe, Korruption und Geldwäschevorwürfe ging. Hauptakteur einmal mehr: die in Verruf geratene IOR. Im Prozess gegen Gabriele wurden wichtige Zeugen nicht geladen, auch die Frage nach Hintermännern wurde ignoriert. Nach der Begnadigung durch den Papst wurde der Akt im Eiltempo geschlossen.
Gerüchte um Mafia, Logen und Geld – vor allem aus einem Grund werden solche Theorien immer faszinieren: wegen der eisernen Verschwiegenheit des Vatikan.