Chronik/Welt

Venedig im Korruptionssumpf

Als "Hochverrat" bezeichnet Premier Matteo Renzi den Korruptionsskandal in Venedig. Der Regierungschef fühlt sich von Venedigs Bürgermeister Giorgio Orsoni, der der gleichen Partei, dem Partito Democratico (PD) angehört, hintergangen. Orsoni wurde am Dienstag mit weiteren 34 Personen wegen Korruptionsverdachts festgenommen. Auch gegen den früheren Regionalpräsidenten des Veneto, Giancarlo Galan von der Berlusconi-Partei "Forza Italia", wird ermittelt. Der Skandal um das riesige Bauprojekt Mose zur Hochwassereindämmung in Venedig schadet vor allem Renzis Bemühen, internationale Investoren nach Italien zu holen, um endlich die angeschlagene Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Orsoni wird wegen angeblicher illegaler Parteienfinanzierung während des Wahlkampfes 2010 beschuldigt. Zu den Korruptionsvorwürfen wurde er am Freitag von Ermittlungsrichter Alberto Scaramuzza in Mestre einvernommen. Ein Bauunternehmer gestand: "Wir haben die Wahlkampagne von Orsoni mit 400.000 bis 500.000 Euro, die in diversen Raten überwiesen wurden, unterstützt." Dafür soll sich Orsoni bedankt haben – "Ihr seid echte Freunde".

Rechtswidriges System

Laut Ermittlungen wurde jahrelang ein rechtswidriges System aufgebaut, bei dem Bauunternehmer Gelder an Politiker zahlten, die mit der Kontrolle der Überwachung des Mose-Projekts beauftragt waren. Im Gegenzug erhielten sie dafür Gefälligkeiten und mildere Kontrollen der Bautätigkeiten. Im Rahmen des gigantischen Bauprojekts Mose wurden mobile Staudämme bei den Laguneneinfahrten errichtet, um die Hochwassergefahr in der Touristenhochburg einzudämmen. Im Strudel der Korruption explodierten die Baukosten des mit sieben Milliarden Euro ohnehin sehr kostspieligen und umstrittenen Mega-Projekts um eine weitere Milliarde Euro. Dabei sind 4000 Personen beschäftigt und Dutzende Baufirmen involviert.

Venedigs Umweltreferent Gianfranco Bettin erklärte: "Dass es in der Region Veneto ein System illegaler Geschäfte gab, war seit vielen Jahren bekannt. Die Art und Weise wie Mose realisiert wurde – ohne öffentliche Ausschreibung, ohne Kontrolle der Unternehmen, in enger Beziehung zwischen Unternehmer und Politiker – all dies hat zu der jetzigen Situation geführt." Die Situation sei laut Bettin schlimmer als bei Tangentopoli – dem Schmiergeldskandal Anfang der 1990er-Jahre in Mailand, der zum Zusammenbruch der 1. Republik in Italien führte.

Auch die US-amerikanische Bestseller-Autorin Donna Leon, die seit 33 Jahren in ihrer Wahlheimat Venedig lebt, kommentierte den Korruptionsskandal: "Die Politik macht mir mein Geschäft kaputt. Ich denke mir die schönsten Kriminalgeschichten aus, aber die Wirklichkeit ist einfach besser."