Chronik/Welt

Ein Traum, der Geschichte schrieb

I have a dream“, rief der Baptistenprediger Martin Luther King Jr. am 28. August 1963 in Washington. Worte, die Geschichte machten – und sich ins Bewusstsein einer ganzen Nation einbrannten.

Dass Menschen nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden, das war sein Traum. Als Martin Luther King Jr. seine Mitbürger vor genau 50 Jahren dazu aufrief, „aus dem dunklen und trostlosen Tal der Rassentrennung“ aufzubrechen, durften zwei von drei Afroamerikanern nicht wählen. Es war ihnen nicht gestattet, dieselben Schulen wie Weiße zu besuchen, mit ihnen im Kino zu sitzen oder dieselben öffentlichen WCs zu benutzen.

250.000 Menschen

„I have a dream“, rief der damals 34-jährige Prediger bei seiner historischen Rede immer wieder. Rund 250.000 Menschen – Gegner der Rassentrennung – waren dabei. Es war die bis dato größte Protestkundgebung in der Geschichte der USA, mitten in der Hauptstadt Washington, vor dem Denkmal für Präsident Abraham Lincoln, der hundert Jahre zuvor die Sklaverei abgeschafft hatte. Frenetischer Jubel begleitete Martin Luther Kings Worte. Viele Menschen hatten Tränen in den Augen – ebenso wie Millionen Zuseher vor den Fernsehschirmen.

"Marsch auf Washington"

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Der 28. August 1963 wurde zum historischen Tag für die US-Bürgerrechtsbewegung. Kings 16-Minuten-Rede prägte sich tief ins Gewissen einer Nation ein, die in ihrem Gründungsdokument zwar verankert hatte, „dass alle Menschen gleich erschaffen sind“, tatsächlich aber nach wie vor die Rassentrennung praktizierte. „Hundert Jahre später ist der Neger immer noch nicht frei“, rief Martin Luther King. „Ich habe einen Traum, dass eines Tages diese Nation sich erheben wird und der wahren Bedeutung ihres Credos gemäß leben wird“.

Die Massenkundgebung sollte den Druck auf Präsident John F. Kennedy und den Kongress erhöhen, endlich ein Bürgerrechtsgesetz zu verabschieden und mehr gegen Arbeitslosigkeit und Armut zu unternehmen. Eigentlich hatten die Behörden mit Krawallen gerechnet. Daher sicherten 5000 Einsatzkräfte die Stadt. Denn die Stimmung war extrem angespannt – drei Monate zuvor hatte die Polizei in Alabama Demonstranten, darunter viele Frauen und Kinder, mit Wasserwerfern schwer verletzt und Hunde auf sie gehetzt. John F. Kennedy wollte eine Versammlung aufgebrachter Schwarzer zunächst verhindern.

Doch beim „Marsch auf Washington“ war von Aggressionen nichts zu spüren. Schwarze und Weiße demonstrierten einträchtig. Musikstars wie Bob Dylan und Joan Baez unterhielten das Publikum, unter das sich Schauspieler wie Marlon Brando oder Paul Newman gemischt hatten.

Auch Kennedy war der Meinung, dass die Versammlung den 20 Millionen Afroamerikanern gedient hatte. „Ich habe einen Traum“, sagte er lächelnd, als er King am Abend gemeinsam mit anderen Bürgerrechtlern im Weißen Haus empfing.

Kings magische Worte blieben nicht ohne Folgen. 1964 erklärte der „Civil Rights Act“ die Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen für illegal, 1965 wurden die diskriminierenden Wahltests für Afro-Amerikaner abgeschafft. Aber in den Jahren danach gab es so viele blutige Rassenzusammenstöße und Rückschläge, dass King selbst beklagte, dass sein Traum sich in einen Albtraum verwandle.

Doch als er am 4. April 1968 einem fanatischen Mörder zum Opfer fiel, wurde seine Rede schnell zu seinem größten Vermächtnis. „Der Traum ist nicht mit ihm gestorben“, sagte Präsident Lyndon B. Johnson bei der Trauerfeier. „Sein Traum trägt uns immer noch“, meinte Präsident Jimmy Carter, als er ihm 1977 posthum die höchste zivile Auszeichnung verlieh.

Gedenkfeiern

Jimmy Carter erweist King nun wieder die Ehre, ebenso Präsident Barack Obama und Bill Clinton. Als Höhepunkt einer Serie von Gedenkveranstaltungen halten sie heute, Mittwoch, auf den Stufen des Lincoln-Denkmals Reden auf den legendären Bürgerrechtler.

Beim „Marsch auf Washington“ vor wenigen Tagen gedachten Zehntausende Menschen Martin Luther Kings legendärer Rede. Dessen Sohn Martin Luther King III. forderte weitere Anstrengungen zur Überwindung von Rassismus in den USA. Auch die Eltern des vor einem Jahr getöteten schwarzen Teenagers Trayvon Martin nahmen an dem Marsch teil. Martins Tod hatte in den USA eine neuerliche Debatte über Rassismus ausgelöst. Die Tränen der Eltern erinnerten daran, dass die Hautfarbe immer noch viel zu häufig „eine Lizenz“ für Belästigungen, Festnahmen und sogar Mord sei, sagte Martin Luther King III.