Chronik/Welt

Russland wird rauchfrei – auf dem Papier

Ein Drittel der russischen Erwachsenen raucht – 44 Millionen Russen also, die seit dem 1. Juni ihrem Laster nicht mehr in der Öffentlichkeit frönen dürfen: In öffentlichen Gebäuden, Bahnhöfen, Flughäfen und sogar in der Nähe von Haltestellen ist das Rauchen seit diesem Zeitpunkt untersagt. Im kommenden Jahr sollen die Restriktionen dann nochmals ausgeweitet werden: Auch in Zügen, Cafés und Restaurants soll dann das Rauchverbot in Kraft treten.

Das Vorgehen der russischen Regierung wirkt rigide. Ernst genommen wird es deshalb aber noch lange nicht. Bereits 2004 hat die Duma ein ähnlich lautendes Gesetz verabschiedet; am Arbeitsplatz, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Gebäuden der staatlichen Verwaltung darf seither nicht geraucht werden. Zumindest auf dem Papier. Denn in den vergangenen neun Jahren hat sich an der Lage der Raucher recht wenig geändert: In der Moskauer Metro sieht man nach wie vor Menschen mit Zigarette in der Hand; in der Vergangenheit wie auch am Tag nach der Verschärfung der Gesetze. Trotz Strafandrohung von 1000 Rubel (24 Euro) pro Verstoß.

Keine Kontrollmechanismen

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Bis 2025 soll die Zahl der Raucher in Russland – laut WHO befindet sich das Land auf Platz vier der Länder mit den meisten Nikotinabhängigen - um 25 Prozent gesenkt werden. Ob und wie das gehen wird, darf aber angesichts der bisherigen Erfahrungen und der Schnelle, mit dem die Legislative das Gesetz durchgepeitscht hat, bezweifelt werden. Sogar Anatolij Jakunin, Chef der Moskauer Polizei, hat keinen rechten Glauben daran: „Bis zum jetzigen Tag gibt es keinen Kontrollmechanismus für das Gesetz“, sagt er in einem Interview mit derRossijskaja Gazeta. Es werde eine Übergangsperioden geben, so seine Vermutung – denn übermittelt sei ihm seitens der Regierung noch nichts Konkretes worden.

Sieht man sich die gesellschaftliche Verankerung des Rauchens in Russland an, kommen zu den strukturellen Zweifeln noch andere: Das russische Militär zählt Tabak noch immer zur Grundausstattung eines Soldaten, pro Tag stehen einem Rekruten zehn Zigaretten zu. Die Rauchpause ist zumindest ideell verankert, die Zahl der Nichtraucher unter den Soldaten verschwindend gering. Und auch sonst in die Zigarette überall zu sehen: Allein die Zahl der minderjährigen Raucher wird auf drei Millionen geschätzt – was bei einem Packungspreis von ein bis zwei Euro beinahe logisch erscheint.

Weniger Raucher, mehr Autokratie

Die Kritik der Behördenvertreter an der mangelhaften Ausführung des Gesetzes ist Wasser auf die Mühlen jener, die von vorn herein gegen eine derartige Gesetzgebung waren. Andrej Loskutov etwa, der für den Verband „Für die Rechte der Raucher“ als Sprecher agiert. Seit einem Jahr opponiert die Bewegung gegen die Verschärfung der Gesetze – weil er dahinter Weitreichenderes vermutet: Mit dem Gesetz wolle man nur andere Verbote auf den Weg bringen, sagte er bereits anlässlich des Beschlusses. Ein weiterer Schritt zu mehr Autokratie in Russland also.