Schampus-Orgie: Russen fordern Auflösung der Nationalmannschaft
Von Elke Windisch
Mit den richtigen Themen erreicht man die Massen und zwingt sogar den Kremlchef zum Handeln. Wie das geht, machen Fußballfans Regimekritikern gerade vor. Nur noch 179.000 Unterschriften fehlen zur magischen Million, die eine Petition braucht, um auf Wladimir Putins Schreibtisch zu landen.
Die Forderung ist weltweit bisher ohnegleichen: Auflösung der russischen Fußballnationalmannschaft. Nicht Umbesetzung, sondern Auflösung. Ein Verfahren aus dem militärischen Bereich, das bei Feigheit vor dem Feind zum Einsatz kommt.
Feigheit vor dem Feind, so die Autoren der Petition, die erst seit Samstag im Netz steht, habe auch die Sbornaja, das Nationalteam, bei der Fußball-EM gezeigt. Wieder einmal habe sie noch vor dem Achtelfinale die Koffer packen müssen. Nationaltrainer Leonid Sluzki zog die Konsequenzen und reichte seinen Rücktritt ein. Er war nach dem ruhmlosen Abschneiden bei der WM 2014 angeheuert worden, weil man dachte, nur ein Russe könne das Dauer-Formtief beenden. Denn teure Importe – der Niederländer Gus Hiddink und der Italiener Fabio Capella – waren zuvor glorreich an der großen russischen Seele gescheitert.
Der kollektive Zorn der Nation indes richtet sich nicht gegen den Coach, sondern gegen die Kicker. Sie hätten Schande über Russland gebracht, heißt es in der Petition. Und weiter: "Wir wollen Stolz empfinden, nicht Scham." Doch das fällt schwer, auch wenn die Sportchefs der Medien zu Mäßigung aufrufen.
Iwan Normalverbraucher nimmt der Sbornaja nicht nur das schwache Spiel bei der EM übel, sondern auch das Nachspiel: Die Schampus-Orgie im Twig, einem der teuersten Nachtclubs in Monte Carlo. Das Etablissement ist bei neureichen Russen extrem populär. Man war also quasi unter sich, als Alexander Kokorin und Pawel Mamajew kurz vor dem Rückflug Richtung Heimat dort aufschlugen und nach gemeinsamen Absingen der Nationalhymne die ersten Flaschen Champagner der Marke Armand de Brignac orderten. Insgesamt 500 Flaschen wurden es im Laufe des Abends. So jedenfalls erzählte es ein Kellner russischen Medien. Die Zeche – Medien sprachen von 250.000 Euro – soll ein Oligarch bezahlt haben.
Spieler suspendiert
Die Fans lassen trotz öffentlicher Entschuldigung der beiden ihren Frust in sozialen Medien ab, wo das von einem Gast gedrehte Schampus-Video seit Anfang Juli abgerufen werden kann. Weil viele Russen wegen der Krise beim Essen sparen müssen, zogen die Mannschaften der Missetäter – Kokorin spielt für Zenit St. Petersburg, Mamajew für Krasnodar – bereits die Reißleine. Beide Spieler wurden suspendiert und zu Geldstrafen verdonnert. Wie viel stehe noch nicht fest. Auch droht der Ausschluss aus dem Nationalkader. Putin, so dessen Sprecher, sei informiert und nicht amüsiert.