Chronik/Welt

"Die verschweigen uns etwas"

In dem Pekinger Hotel hörte man am Samstag eine Nadel fallen. Gebannt verfolgten die Angehörigen der Passagiere der seit mehr als einer Woche verschollenen Malaysia-Boeing live die Pressekonferenz des malaysischen Premiers Najib Razak. Dieser sagte, dass die Maschine (die meisten der 239 Fluggäste waren Chinesen) offenbar absichtlich "umgeleitet" und nach dem letzten zivilen Primär-Radar-Signal noch bis zu siebeneinhalb Stunden unterwegs gewesen sei. Im Gegensatz zu Peking wollte der Regierungschef nicht von einer Entführung sprechen. Bei manchen Angehörigen keimte Hoffnung auf, ihre Liebsten könnten doch noch am Leben sein. Andere reagierten voller Wut ob der Informationspolitik Kuala Lumpurs: "Die verschweigen etwas. Die lügen."

Scharfe Kursänderung

Tatsächlich präsentiert sich die Lage nach dem Razak-Statement noch rätselhafter. Offenbar sind zwei Flugerfassungssysteme manuell abgeschaltet worden: Das erste, das Funksystem Acars, knapp nach dem Start in der malaysischen Hauptstadt, das zweiter, der Transponder (Grafik), nach einer Stunde in der Luft. Danach, so US-Medien, habe die Maschine ihren Kurs auf Peking verlassen und scharf nach Westen abgedreht.

Laut New York Times ist die Boeing 777-200 kurz davor auf eine Höhe von 13.700 Metern gestiegen – weit höher als es für diesen Flugzeugtyp zulässig sei. Nach dem West-Schwenk sei sie wieder auf 7000 Meter gesunken, um dann wieder hochzuklettern und in Richtung Indischen Ozean zu verschwinden. Offenbar wollten die Lenker der Boeing absichtlich zivile Radargeräte umgehen.

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Das letzte von Satelliten empfangene Signal lasse, so die malaysischen Behörden, auf zwei mögliche Flugkorridore schließen: Der nördliche führt über Thailand, die Boeing könnte so bis Kasachstan oder Turkmenistan gelangt sein. Der südliche erstreckt sich von Indonesien aus in den Indischen Ozean. Die Suche konzentriert sich jetzt auf diese Regionen. An ihr beteiligen sich 14 Länder mit 60 Flugzeugen und 40 Schiffen, darunter auch der US-Zerstörer USS Kidd.

Hausdurchsuchung

Die Hintergründe des Verschwindens sind weiter Gegenstand von Spekulationen. War es eine Entführung, Sabotage oder gar ein Terrorakt? Die malaysische Polizei hat jedenfalls das Haus des Piloten des Fluges MH 370 durchsucht. Zudem wurde die Überprüfung von Passagieren – es befanden sich auch fünf Kinder im Alter zwischen zwei und vier Jahren an Bord – und Crew-Mitgliedern intensiviert.

Die meisten Experten gehen davon aus, die Boeing irgendwo im Indischen Ozean abgestürzt sein dürfte. Trümmerteile zu finden, dürfte schwierig sein, das die See dort knapp 3900 Meter tief ist und die Strömung nach mehr als einer Woche die Wrackteile weit verstreut haben könnte.

Für den Luftfahrtexperten Gerry Soejatman ist eines jedenfalls klar: Sollte es sich um eine Entführung handeln, "haben wir es möglicherweise mit etwas zu tun, das über die Planung von 9/11 hinausgeht", spielte er auf die Terroranschläge vom 11. September in den USA an.

Malaysia erbittet Hilfe von 15 Staaten

Auf der Suche nach dem verschollenen Passagierflugzeug erbittet Malaysia nun Hilfe von 15 Ländern. Das teilte das Transportministerium am Sonntag mit. Die meisten Staaten liegen entlang der beiden Korridore, die als mögliche Flugbahn nach Abschalten der Überwachungsinstrumente an Bord gelten.

Unter den angesprochenen Ländern sind Kasachstan, Turkmenistan, Pakistan, Indien, Burma sowie Australien und Frankreich. Wieso Frankreich in der Liste auftaucht, teilte das Ministerium nicht mit. Frankreich leitete die Suche nach dem 2009 über den Atlantik abgestürzten Air-France-Flugzeug, dessen Wrack erst nach zwei Jahren entdeckt wurde.

KURIER: Die Signalsysteme an Bord wurden gezielt abgeschaltet. Was bedeutet das?
Heinrich Großbongardt:
Das ACARS (Datenfunksystem, Anm.) und den Transponder schaltete man als Pilot nicht einfach ab. Man braucht sie zur Flugführung, außer es gibt technische Probleme, aber das kommt eigentlich nicht vor. Die Theorien verlagern sich in Richtung Kriminalität und Sabotage. Selbstmord oder Erpressung – alles ist möglich. Ein terroristischer Hintergrund erscheint mir unwahrscheinlich. Terroristen wollen wahrgenommen werden, es hätte schon ein Bekennerschreiben gegeben.

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Kann die Maschine wegen der abgeschalteten Signale nicht mehr geortet werden?
Sie kann noch geortet werden, aber nur ungenau, weil ihre Flugnummer nicht zu identifizieren ist. Dafür braucht man den Transponder. Er wird vom Radarstrahl getroffen und übermittelt die genaue Position, Höhe und Geschwindigkeit an die Fluglotsen.

Könnte das auf eine Entführung hinweisen?
Es ist alles hochspekulativ, und es gibt viele widersprüchliche Aussagen. Wenn es eine Entführung wäre, und jemand kennt sich aus, dann könnte er das absichtlich veranlassen. Aber es gibt genauso gut technische Ursachen dafür, dass die Geräte selbst etwa durch Kurzschlüsse ausfallen. Man kann nicht sagen, was dahintersteckt. Es ist leider sehr unglücklich, wie hier kommuniziert wird.

Die Maschine hat einmal stark an Flughöhe zugenommen und ist dann tief gesunken. Warum?
Es kann unabsichtlich passiert sein, weil die Besatzung gerade mit einem Eindringling im Cockpit beschäftigt war. Das andere könnte darauf hindeuten, dass jemand mit dem Absenken tiefer gehen wollte, um nicht mehr vom Radar geortet zu werden. Je tiefer man fliegt, desto weniger weit kann das Radar suchen. Auch Militärflugzeuge machen das so und unterfliegen das Radar.

Wie schätzen Sie den weiteren Suchverlauf ein? Im Augenblick muss man alle Information mit äußerster Vorsicht wahrnehmen. Die Kommunikation und das Krisenmanagement sind sehr chaotisch. Ich bin mir aber sehr sicher, dass die Maschine ins Meer gestürzt ist. Sie zu finden wird schwierig. Das Gebiet ist zehn Mal so groß wie Österreich, und die Trümmerteile sind vielleicht drei bis vier Meter groß. Dazu kommen hohe Wellen. Bis man 2009 die Einsturzstelle der Air-France-Maschine gefunden hat, hat es ein paar Tage gedauert. Man konnte das Gebiet eingrenzen. Aber in diesem Fall, weiß man nicht einmal, wo man anfangen soll zu suchen.

Zur Person: Heinrich Großbongardt (58) ist ein in Hamburg lebender Luftfahrtexperte und Autor.

Der Malaysian Airlines Flug MH370 beschäftigt seit Samstag ein multinationales Suchteam, bisher jedoch ohne Erfolg. Nicht nur Profis beschäftigt das mysteriöse Verschwinden der Boeing 777, auch tausende Laien beteiligen sich an der Suche. Ihr Beitrag besteht unter anderem im Durchforsten von Satellitenbildern auf der Webseite tomnod.com.

Beim Durchkämmen eines riesigen Rasters, der Quader für Quader große Abschnitte der Meeresoberfläche zeigt, sollen mögliche Wrackteile, Ölspuren oder sogar Rettungsinseln markiert werden. Diese Markierungen sollen den Rettungskräften vor Ort anzeigen, wo sie vielleicht noch einmal gründlicher nachsehen sollten. Zur Verfügung gestellt werden die Bilder vom Geoinformationsdienstleister DigitalGlobe.

Schlechte Erfolgsquote

Die kollektive Suche nach verschollenen Menschen mittels Satellitenbildern durch ein Online-Publikum ist keine Neuheit. Bereits in der Vergangenheit wurden so genannte "Crowdsearching"-Kampagnen gestartet, etwa im Falle des im Pazifik verschwundenen Computerwissenschaftlers Jim Gray, der im Jänner 2007 alleine aufs Meer segelte und nie zurückkehrte. Auch damals fertigte DigitalGlobe Satellitenbilder des Suchgebietes an.

Über den Dienst Mechanical Turk des US-Onlinehändlers Amazon, auf dem Privatpersonen normalerweise kleinste intellektuelle Arbeitsaufträge gegen Entlohnung verrichten können, wurde zur kollektiven Bildersuche aufgerufen. Dasselbe geschah nur wenige Monate später, als der US-Millitär und Abenteurer Steve Fossett mit seinem einmotorigen Sportflugzeug über der Wüste zwischen Nevada und Kalifornien verschwand.

In beiden Fällen beteiligten sich tausende Privatpersonen an der Suche, jedoch ohne Erfolg. Die Überreste von Fossetts Flugzeug wurden über ein Jahr später, im Oktober 2008 durch Zufall von Wanderern entdeckt. Von Jim Gray fehlt weiterhin jede Spur.

Sinnvolle Gemeinschaftsaktion

Macht die Vermisstensuche durch Menschen, die Satellitenbilder betrachten, also wirklich Sinn? "Ja, das macht Sinn", meint Luftfahrtexperte Kurt Hofmann. "Es ist absolut wichtig für die Luftfahrt und natürlich auch für die Angehörigen der Passagiere, dass man Teile aufspürt, die Ursachen für das Geschehene untersucht und die Flugsicherheit daraufhin verbessert."

Die Chancen, mehrere Tage nach dem Verschwinden von Flug MH370 noch Spuren davon auf der Meeresoberfläche zu finden, sieht Hofmann vorhanden. "Die Boeing 777 besteht zum Teil aus Verbundstoff-Materialien, die auf der Wasseroberfläche treiben können. Es gibt auch genügend andere Komponenten, die genügend Auftrieb besitzen." Im Falle des Air France Flugs AF447 im Juni 2009, bei dem ein Airbus A330-200 über dem Atlantik abstürzte, sei sogar ein treibendes Fahrwerk gefunden worden.

Der Fall der Air-France-Katastrophe, bei der 228 Menschen ums Leben kamen, zeigt aber auch, wie schwierig alleine die Suche nach Spuren für einen Absturz ist. Erst fünf Tage nach dem Vorfall wurden die ersten Überreste gefunden.

Problem Bildauflösung

Wie erfolgversprechend ist also die gutgemeinte Hilfe tausender Privatpersonen vor dem eigenen Computerdisplay? Könnten Programme nicht wesentlich schneller nach Spuren auf Satellitenbildern suchen? Was mit Algorithmen möglich wäre, ist in jedem Fall eine Vorfilterung der erstellten Aufnahmen, meint Sebastian Zambanini vom Computer Vision Lab des Instituts für rechnergestützte Automation an der Technischen Universität Wien. "Wenn man diese Ozeanbilder betrachtet, zeigen die meisten einfach nur gräulich-blaues Wasser. Es ist nicht sehr aufwendig, ein Programm hier nach Auffälligkeiten suchen zu lassen - also irgendwas, das nicht blau ist. Da könnte man wahrscheinlich den Großteil aller Aufnahmen ausschließen. Den Rest könnten sich Menschen genauer ansehen."

Das Erkennen von Flugzeugteilen stellen laut Zambanini schon ein schwierigeres Problem dar: "Man weiß nicht, wie die nach einem Absturz aussehen könnten. Es ist schwierig zu definieren, wonach ein Programm suchen soll." Das größte Problem liege allerdings in der geringen Auflösung der Bilder. "Ein ganzes Flugzeug wäre auf den Aufnahmen nur einen Finger breit. Einzelne Teile sind für den Menschen kaum als gesuchte Objekte erkennbar. Ein Programm schafft das schon gar nicht."

Unbezahlter Aufwand

Das in Colorado ansässige Geoinformationsunternehmen DigitalGlobe ist von der Wirksamkeit seiner Crowdsearching-Bemühungen überzeugt. Zwei seiner insgesamt fünf Satelliten schießen Fotos von der Region zwischen Thailand und dem Südchinesischen Meer. Die Kameras an Bord der Satelliten bieten eine Auflösung von einem Meter pro Pixel.

Auf der hauseigenen Plattform tomnod.com suchen unterdessen laut DigitalGlobe bereits über zwei Millionen Menschen nach Hinweisen auf Bildern, die eine Wasserfläche von 24.000 Quadratkilometer zeigen. Trotz der Größe des Suchgebiets ist jedes einzelne Bild mindestens 30 Mal von Personen begutachtet worden. Bis zum Donnerstag wurden laut DigitalGlobe 745.000 verdächtige Objekte markiert.

DigitalGlobe betont in einer E-Mail an die futurezone, dass das Unternehmen nicht für seinen Aufwand entschädigt wird: "Wir tun es weil wir es können."