Es werden noch mehr Flüchtlinge kommen
In Jordanien trinken Kinder aus schlammigen Pfützen, auf der Pazifik-Insel Tuvalu kübeln Erwachsene massenweise Wasser aus ihren Kellern, in Indonesien faulen Getreidehalme im stehenden Wasser. Die Folgen des Klimawandels sind in immer mehr Regionen bereits heute zu spüren. Landstriche werden verwüstet, Ernten fallen aus und Meerwasser dringt in das Grundwasser ein.
Glaubt man einer Reihe von Forschern, werden Dürren, Überschwemmungen und Wirbelstürme in den nächsten Jahren eine Völkerwanderung auslösen. Die Vereinten Nationen rechnen bis 2050 mit etwa 200 Millionen Migranten, andere Schätzungen gehen von 700 Millionen bis zur Jahrhundertmitte aus. Umstritten sind aber nicht nur die Zahlen, sondern auch, ob Menschen wirklich ihre Heimat klimabedingt verlassen.
Klimawandel und Krieg
Einig sind sich Wissenschaftler, dass besonders in instabilen und strukturschwachen Staaten Klima- und Umweltveränderungen zu Verteilungskämpfen zwischen Bevölkerungsgruppen führen. Und sobald länger anhaltende Gewalt ins Spiel kommt, sind Fluchtbewegungen kaum zu vermeiden: zuerst im Heimatland, dann in die Nachbarregionen und schließlich international.
Der Krieg im somalischen Darfur gilt für viele Experten als der erste "Klima-Konflikt" der Welt. Es sei kein Zufall, schrieb UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon 2007 in der Washington Post, dass die Gewalt zwischen den ethnischen Gruppen während der extremen Dürre ausgebrochen war, unter der das Land damals litt.
Untermauert wird diese Ansicht vom UN-Umweltprogramm (UNEP). Die Wissenschaftler stellten in einer umfassenden Studie fest, dass seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts der Regen im Norden des Sudan um bis zu 34 Prozent zurückging. Hunderttausende Menschen verließen wegen der Dürre ihre angestammten Gebiete und stritten mit Viehzüchtern und Ackerbauern um das niederschlagsreiche Land weiter im Süden. Die Wanderbewegung habe das ohnehin vorhandene Konfliktpotenzial innerhalb des Sudan verschärft, schreiben die Autoren. Drei Millionen Menschen wurden seit Ausbruch des Darfur-Konfliktes 2003 in die Flucht getrieben.
Auch in Syrien soll der Klimawandel den Bürgerkrieg befeuert haben. Forscher der University of California schreiben in ihrer Studie, dass vier Jahre vor Ausbruch des Konfliktes etwa zwei Millionen Bauern und Viehzüchter ihre Lebensgrundlage durch Dürren und Missernten verloren haben. Steigende Lebensmittelpreise, die hohe Armut und der Arabische Frühling führten zu Protesten, zum Bürgerkrieg und schlussendlich zur Flucht. Nicht wenige Politiker sind derselben Ansicht. Für US-Außenminister John Kerry ist es "kein Zufall, dass direkt vor dem Ausbruch des Krieges Syrien die schlimmste Dürre seiner Geschichte erlebte". Al Gore, ehemalige Vizepräsident der USA, erklärte, dass der Klimawandel die Tore der Hölle in Syrien geöffnet hat.
Kein Recht für "Klimaflüchtlinge"
Ein ökologisches Desaster kann ein politisches verschärfen, erklärt der Klimaforscher Gottfried Kirchengast dem KURIER, daran bestehen keine Zweifel. Der Institutsleiter des Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Uni Graz warnt aber vor Schnellschüssen: "Klimaveränderungen sind nur ein Treiber unter vielen. Die Verwundbarkeit eines Landes spielt eine große Rolle. Damit sind zum Beispiel demokratische Defizite, Armut und ökonomische Krisen gemeint." Erderwärmung, Bürgerkriege und Migration dürften aber nicht isoliert voneinander betrachtet werden. "Ein Faktor bedingt den anderen", sagt Kirchengast.
Dieser Meinung schließt sich der deutsche Migrationsforscher Klaus Jürgen Bade an, der seit Jahren eine Weltflüchtlingskonferenz fordert. Dass Millionen Menschen klimabedingt ihre Heimatländer verlassen müssen, sei ja nicht neu, sagt er dem KURIER. "Aber weder gibt es Umsiedlungsprogramme, mit denen man die kommende Herausforderung bewältigen könnte, noch eine Rechtskategorie für 'Klimaflüchtlinge'", so der emeritierte Professor der Universität Duisburg.
Im Sommer 2014 berichtete New Zealand Herald über die ersten "Klimaflüchtlinge". Einer Familie vom pazifischen Inselstaat Tuvalu wurde ein Bleiberecht in Neuseeland gewährt. Die Kinder seien besonders stark durch Naturkatastrophen gefährdet, urteilte das dortige Einwanderungstribunal. Zum ersten Mal überhaupt wurde für einen Asylantrag der Klimawandel als Gefahr berücksichtigt. Sigeo Alesana und seine Familie hatten auch deshalb gute Chancen auf ein Bleiberecht, weil ihre Verwandtschaft bereits in der dritten Generation in Neuseeland lebt. Die beiden Kinder sind ebenfalls im Land geboren. Als Präzedenzfall gilt der Entscheid Neuseelands nicht.
Flüchten, um ein besseres Leben zu haben
Bislang spielen klimabedingte Faktoren in der Genfer Flüchtlingskonvention keine Rolle. Dementsprechend drohen Menschen, die wegen einer Überschwemmung ihr Herkunftsland verlassen, durch das Raster internationaler Schutzrechte und Migrationsregeln zu fallen. Asyl wird nur denjenigen gewährt, die aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen verfolgt werden. Das verwundert nicht, stammt doch die Konvention aus dem Jahr 1951 - lange bevor der Klimawandel auf der internationalen Agenda stand.
Wenn jemand aus Syrien oder dem Irak flieht, kann er in anderen Ländern um Asyl ansuchen. Was passiert aber mit Bewohnern von Inseln, die zwar nicht im Bürgerkrieg versinken, aber langsam von der Landkarte verschwinden - wie im Fall Tuvalu? "Sie gehören zu einer ungeschützten Gruppe", sagt Kirchengast. Derzeit würden diese Menschen in die Kategorie Wirtschaftsflüchtlinge fallen, da sie ihre Lebenssituation verbessern wollen.
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Überflutungen und untergehende Insel
Experten gehen davon aus, dass Tuvalu womöglich in 30 bis 50 Jahren untergehen wird. 70 Prozent der Bevölkerung sehen sich bereits nach neuen Heimatländern um, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der Universität der Vereinten Nationen. Australien und Neuseeland stehen bei den Bewohnern Tuvalus hoch im Kurs.
Einen außergewöhnlichen Weg ging die Regierung des Inselstaates Kiribati. Sie kaufte im Mai 2014 auf der zweitgrößten Fidschi-Insel Vanua Levu 20 Quadratkilometer Land. "Wir brauchen Ausweichmöglichkeiten, wenn unser Land wegen des Klimawandels im Meer versinkt", begründete der damals amtierende Staatspräsident Anote Tong den Acht-Millionen-US-Dollar-Grundstückskauf.
Für Experten ist jedoch eine andere Initiative in Kiribati nachhaltiger. Da viele Pazifik-Insulaner befürchten, zu Auswanderern zweiter Klasse zu werden, startete die Regierung vor Jahren das Programm "Migration with Dignity". Damit sollen die Bewohner zu hochqualifizierten Arbeitern ausgebildet werden.
Die Chance, in ein fremdes Land zu emigrieren, wird steigen, ein Recht auf Asyl haben sie nach Genfer Flüchtlingskonvention aber keines.
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Dürre und Wüstenbildung
Im gesamten Nahen Osten und Nordafrika sieht man sich mit einem anderen Problem konfrontiert. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten droht den Regionen das Wasser auszugehen. Auch der US-amerikanische Bundesstaat Kalifornien leidet seit mehr als fünf Jahren unter einer Rekorddürre. Der ungebremste Ausstoß von Treibhausgasen, die wachsende Bevölkerung und der steigende Ressourcenverbrauch sind nur einige der Gründe.
Im vergangenen Jahr veröffentlichte das World Resources Institute (WRI) eine Studie, die zeigt, dass jene Länder, aus denen derzeit die meisten Menschen nach Europa flüchten - Syrien, der Irak, Afghanistan, Libyen und Eritrea - sehr stark von Dürre und Wassermangel betroffen sind. Halten die aktuellen Trends an, werde dort im Jahr 2040 "extrem hoher Wasserstress" herrschen, die Wasserentnahme mehr als 80 Prozent der Vorräte betragen.
In Jordanien, das nach Angaben der UNHCR fast 680.000 Menschen aus Syrien aufgenommen hat (die jordanischen Behörden gehen sogar von 1,5 Millionen aus), ist die Wasserversorgung schon jetzt so angespannt wie kaum anderswo auf dem Planeten. Laut der Hilfsorganisation Oxfam kann die Regierung ihren Bürgern nur 150 Kubikmeter Wasser pro Jahr zur Verfügung stellen - bei 500 Kubikmeter tritt laut internationalen Kriterien ein absoluter Wassermangel ein.
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Ein Grund, um zu flüchten
Sind das nun Gründe, um sein Heimatland zu verlassen? Man muss differenzieren, schreiben etwa Forscher des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik. Der Klimawandel allein würde die wenigsten in die Flucht schlagen - zumal wirtschaftliche, politische und soziale Faktoren bei Migrationsentscheidungen fast immer eine wichtige Rolle.
Bestätigt wird diese These durch das Team um die Politikwissenschaftlerin Vally Koubi von ETH Zürich 2012. In einer Studie über Fluchtursachen heißt es, dass Menschen bei langsamen Veränderungen wie Wüstenbildung eher versuchen, sich an die Situation anzupassen.
Erst bei Katastrophen wie Hurrikans würden Menschen ihren Heimatort verlassen. Aber selbst dann kommt es in vielen Fällen nur zu einer Umsiedelung innerhalb des betroffenen Landes, an eine internationale Migration denken nur die Wenigsten.
"Menschen werden klimabedingt flüchten"
Die Forscherin Valli Koubi resümiert: "Wenn Menschen glauben, keine Zukunft mehr zu haben, machen sie sich auf den Weg." Das gilt sowohl für Kriegsflüchtlinge als auch für Wirtschafts- und Klimaflüchtlinge – oder Opfer von Erdbeben oder Vulkanausbrüchen, die nach Genfer Konvention ebenfalls kein Recht auf Asyl haben.
Gottfried Kirchengast ist aber zuversichtlich, dass sich das internationale Recht ändern wird. Es würde bereits über eine Ausweitung des Flüchtlingsbegriffes diskutiert und der UN-Klimarat habe bereits anerkannt, dass der Klimawandel zu Migration führen kann, erklärt der Wissenschaftler. "Wenn man die derzeitige Lage der Erde nüchtern betrachtet, dann ist Migration ganz klar ein Klima- und Umweltthema. Menschen werden vermehrt klimabedingt flüchten."