Chronik/Welt

Im Wald ausgesetzter Bub nach einer Woche gefunden

Ein siebenjähriger Bub ist von seinen Eltern in Japan zur Bestrafung alleine im Wald zurückgelassen worden - und erst nach einer Woche intensiver Suche wurde er wieder gefunden. Der äußerlich unverletzte Bub sei am Freitag auf einem Militärgelände auf der nördlichen Insel Hokkaido entdeckt worden, teilte ein Polizeisprecher mit.

In der Wildnis hatte er offenbar in einer Hütte mit Wasseranschluss Unterschlupf gefunden. Der Fall hatte Japan tagelang in Atem gehalten (mehr dazu auch im unteren Abschnitt "Ein kleiner Bub bewegt ganz Japan"). Seit Samstag war der Bub in einem bergigen und von wilden Bären bewohnten Wald auf der nördlichen Insel Hokkaido vermisst.

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Er sei schließlich von einem Soldaten entdeckt worden, teilte die Polizei mit. Zur Sicherheit sei er mit einem Hubschrauber zu Untersuchungen in ein Krankenhaus gebracht worden. "Es gab keine erkennbaren Verletzungen, und er hat sich als Yamato Tanooka vorgestellt", sagte ein Polizeisprecher. "Er wirkte gesund."
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"Bist du Yamato?"

Der Junge hatte N24 zufolge den Militär-Übungsplatz schon am Abend seines Verschwindens gefunden und dort in einer Hütte auf alten Matratzen geschlafen, wie er der Polizei mitteilte. Dort hatte er auch Zugang zu Trinkwasser. Einer der Soldaten hatte sich auf die morgendlichen Übungen vorbereitet und die Tür zu dem Gebäude geöffnet, als er den Jungen entdeckte, so ein Sprecher des Militärs. "Er fragte: Bist du Yamato? Und der Junge antwortete, ja, das bin ich. Er hatte Hunger, also gab der Soldat ihm Wasser und Reis."

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Im Krankenhaus traf der Siebenjährige seine Eltern wieder. Der Vater entschuldigte sich dort vor Reportern. Mit seiner "Überreaktion" habe er seinem Sohn eine "schmerzhafte Zeit" bereit, sagte der reumütige Vater. "Das erste, was ich meinem Sohn gesagt habe, war: 'Es tut mir so leid, dass du all das wegen mir durchmachen musstest.'"
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Die Eltern hatten am Wochenende zunächst bei der Polizei angegeben, ihr Sohn sei verschwunden, als die Familie gemeinsam wandern war. Später gaben sie zu, den Buben zur Bestrafung in dem Wald zurückgelassen zu haben, weil er Steine auf Autos und Menschen geworfen habe.

Sie seien aber nur etwa 500 Meter mit dem Auto weggefahren und dann sofort umgekehrt, sagten die Eltern. Der Kleine, der weder etwas zu essen noch etwas zu trinken dabei hatte, sei da aber schon verschwunden gewesen.

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Knapp 200 Rettungskräfte und Polizisten hatten nach dem Buben gesucht. Sie weiteten nach zweitägigen vergeblichen Anstrengungen das Suchgebiet aus und setzten Spürhunde und Pferde ein. Auch Soldaten halfen bei der Suche, über die das japanische Fernsehen rund um die Uhr berichtete.
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Der Ort, an dem Yamato Tanooka nun gefunden wurde, liegt lokalen Medienberichten zufolge rund fünf Kilometer von der Stelle entfernt, wo seine Eltern ihn zurückgelassen hatten. Was genau der Junge in den vergangenen Tagen erlebt hat, ist noch unklar.
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Takayuki Tanooka kämpft mit den Tränen. "Es tut mir so leid für den Buben, dass ich so hart mit ihm umgegangen bin", sagt der Japaner schluchzend vor laufenden Kameras. Sechs Tage lang haben fast 200 Einsatzkräfte - Polizisten, Freiwillige und Soldaten - nach seinem siebenjährigen Sohn in einem riesigen Waldgebiet gesucht, in dem es vor gefährlichen Bären nur so wimmelt.

"Ich habe wirklich nicht gedacht, dass es soweit kommen würde", schluchzt Tanooka. Zur Strafe dafür, dass der Bub Steine auf Autos und Menschen geworfen habe, hatten er und seine Frau den kleinen Yamato aufgefordert, aus dem Auto zu steigen. Als sie fünf Minuten später zurückkamen, war er weg. Ein Horror für alle Eltern. Auch Tanooka bereut sein Handeln. "Wir meinten es nur gut mit ihm. Ich bin zu weit gegangen", sagt der Vater und entschuldigt sich mit tiefer Verbeugung bei der Öffentlichkeit.

Dass der kleine Yamato am Leben ist, grenzt an ein Wunder. Der Knabe stapfte durch den riesigen Wald, wohl nicht ahnend, dass überall Bären lauern könnten. Zufällig kam er auf einem im Wald gelegenen Übungsplatz des Militärs heraus, wo er einen Regenunterschlupf für Soldaten fand. Hungrig und erschöpft legte sich der Siebenjährige auf eine dreckige Matratze, mit einer anderen deckte er sich notdürftig zu, um sich gegen die bittere Kälte zu schützen. Als Soldaten zwei Tage später auf das Gelände kamen, blieb der Bub aber unentdeckt.

Und so hielt sich der Kleine lange einsame Tage und Nächte hier am Leben, ohne einen Bissen Essen, nur mit Wasser aus einem Trog. Erst als drei Soldaten vorbeikamen, um in dem Gebäude Schutz vor Regen zu suchen, wurde der Knabe entdeckt, dehydriert und unterkühlt, aber bis auf Kratzer an Armen und Beinen äußerlich unverletzt.

Das ganze Land reagiert mit großer Erleichterung. Die Trupps, die tagelang das Gebiet zu Fuß, aus der Luft und mit Pferden absuchten, applaudieren. Und in Yamatos Volksschule, wo sich alle 900 Kinder versammelt haben, gellen Jubelschreie durch den Saal. "Ich möchte ihm sagen, das er sich großartig geschlagen hat und tapfer war", sagt Vize-Schulleiter Yoshitaka Sawada. Auf Twitter wird der kleine Yamato mit einem berühmten Comic-Helden verglichen, ein anderer vergleicht den Überlebenskampf des Buben gar mit dem von US-Schauspieler Sylvester Stallone in seiner Rolle als "Rambo".

Japan, das Kleinkinderparadies?

Das Schicksal des kleinen Yamato hatte tagelang eine Nation in Atem gehalten, die im Ruf steht, ein wahres Kleinkinderparadies zu sein. Wo die Kleinsten nach Strich und Faden gehätschelt und bis in den späten Abend unterhalten werden und sich oft benehmen dürfen wie sie wollen. Erst später, wenn sie um die Aufnahme in renommierte Schulen und Universitäten wetteifern und in Japans legendäre "Prüfungshölle" treten, ist es mit dem Glück der Anfangsjahre für die Kleinen vorbei.

Auch die Eltern des kleinen Yamato werden von Freunden und Nachbarn als liebevolle und fürsorgliche Eltern beschrieben. Und doch sind Fälle von Vernachlässigung und Missbrauch von Kindern in Japan verbreiteter als viele meinen. Auch die Art der Strafe für den kleinen Yamato ist an sich nicht ungewöhnlich. Dass die Eltern ihren Buben jedoch in einem Wald, in dem Bären leben, aussetzten, ging vielen Japanern denn doch entschieden zu weit.

"Versuchter Mord"?

In sozialen Medien hagelt es teils harsche Kritik. Sei das nicht angesichts der Bärengefahr schon "versuchter Mord?", fragt ein Twitter-Nutzer. "Das hat nichts mit Disziplinierung zu tun, das ist Kindesmissbrauch", wettert ein anderer. Die Eltern hätten zumindest hinter Bäumen ein Auge auf den Buben halten sollen, so ein anderer. Der, der die größte Lehre aus dem Vorfall zu ziehen habe, sei der Vater, meint ein anderer Nutzer. "Von jetzt an werde ich mich besser um ihn kümmern", versicherte Tanooka vor laufender Kamera.