Chronik/Welt

Gebärmutter zu vermieten

Baby Gammy – das Schicksal des kleinen Buben mit Downsyndrom (siehe unten) wirft ein Schlaglicht auf ein bisher kaum beachtetes Thema: Kommerzielle Leihmutterschaften. Was für kinderlose Paare oft die letzte Chance auf Nachwuchs ist, ist in vielen Ländern verboten, auch in Österreich. Nicht so in Thailand, wo Gammy "bestellt" wurde, in einigen US-Staaten, der Ukraine oder Indien.

Vor allem Indien ist bei Menschen mit Kinderwunsch beliebt. Adoptionen durch Europäer oder Amerikaner gibt es hier schon lange. Doch mit der wachsenden Mittelschicht, die es sich leisten kann, bei Kinderlosigkeit fremde Kinder aufzunehmen, sank die Zahl der Auslandsadoptionen – seriöse Agenturen vermitteln Kinder vorrangig in deren Heimatländern.

"All inclusive"

Die Alternative: Eine junge Frau stellt ihre Gebärmutter zur Verfügung. Das Prozedere klingt simpel: Die leiblichen Eltern informieren sich im Internet, wo gut ausgerüstete Kliniken damit werben, sofort Frauen bereitstellen und auch europäisch oder afrikanisch aussehende Frauen vermitteln zu können. Danach reisen die Eltern, oft in Form eines All-inclusive-Pakets mit Flug, Hotel und Behandlung, nach Indien. Der biologischen Mutter oder der Leihmutter werden Eizellen entnommen und mit dem Sperma des Vaters befruchtet. Entwickelt sich ein Embryo, wird dieser der Leihmutter implantiert. Geht alles gut, wächst in ihr ein Kinder heran, das nach der Geburt den Eltern übergeben wird. Die Leihmutter bekommt Geld und hat Gutes getan, die leiblichen Eltern sind überglücklich. Alle sind zufrieden. Soweit die Theorie. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Leihmutterschaften sind ein regelrechter Industriezweig geworden: Mittlerweile soll es in Indien 3000 Kinderwunschkliniken geben. Dutzende haben sich auf die Vermittlung von Leihmüttern an Ausländer spezialisiert. Frauenrechtsgruppen schätzen den jährlichen Umsatz auf mehr als 300 Millionen Dollar.

Bessere Zukunft

Auch die Leihmütter bekommen viel Geld. Von den 10.000 bis 30.000 Dollar, die kinderlose Paare in Indien für ihr Wunschbaby zahlen, bekommt die Leihmutter etwa ein Drittel, bei Zwillingen etwas mehr. Das entspricht oft mehreren Jahreseinkommen des Ehemannes und ermöglicht, ein Haus zu bauen oder die Kinder zur Schule zu schicken.

Eine bessere Zukunft für ihre Kinder war auch für die 28-jährige Vasanti der Grund, ein fremdes Kind auszutragen. Mit rund 100 anderen Frauen lebt sie in einem Haus nahe einer Kinderwunschklinik in Anand. Auch wenn manche Frauen in "Babyfabriken" wie dieser ihre eigenen Kinder dabeihaben können – die meisten sind neun Monate von ihren Familien getrennt und werden rund um die Uhr überwacht. Bewegung ist verboten, um jedes Risiko zu vermeiden.

Leihmutterschaft wird in Indien oft gleichgesetzt mit Prostitution, weshalb viele Frauen gegenüber Verwandten behaupten, einen Job etwa als Hausmädchen ergattert zu haben und deshalb den Heimatort zu verlassen.

Worauf sie sich einlassen, ist den Leihmüttern oft nicht klar. Sie wissen auch nicht, was in ihrem Körper genau passieren wird, nur, dass Sex nicht nötig ist. Gibt es Komplikationen, wird abgetrieben. Nach der Geburt oder bei Fehlgeburten endet die medizinische Betreuung abrupt, die Frau ist auf sich allein gestellt.

Ist ein Kind zur Welt gekommen, beginnen auch für die leiblichen Eltern die Probleme: In vielen Ländern – auch in Österreich – ist die Frau, die das Kind ausgetragen hat, rechtlich die Mutter, das Kind also kein Staatsbürger.

Wurde der sieben Monate alte Gammy von seinen leiblichen Eltern im Stich gelassen, weil er Downsyndrom und einen Herzfehler hat? Zu dieser Frage wollen die zwei Australier, die seit Tagen international in der Kritik stehen, nun öffentlich Stellung nehmen. Sonntagabend treten sie im australischen TV-Sender Channel Nine auf.

Gammy war von einer thailändischen Leihmutter, der 21-jährigen Pattaramon Chanbua, ausgetragen worden. Zusammen mit einem gesunden Zwilling. Das kleine Mädchen wurde von den leiblichen Eltern mitgenommen. Gammy, so behauptet Pattaramon Chanbua, die zwei eigene Kinder hat und mit der Leihmutterschaft deren Schule finanzieren sowie Schulden abzahlen wollte, sei von dem Paar zurückgelassen worden.

Gammys mutmaßlicher Vater, der vor Jahren wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden war, sagt, er und seine Frau hätten nichts von Gammy gewusst. Die Leihmutter widerspricht: Die beiden Babys seien nebeneinander in einem Bett gelegen.

Vorerst sollen die Eltern Gammys Schwester behalten dürfen. Das australische Jugendamt sah trotz der Verurteilung des Vaters keinen Grund, das Kind aus der Familie zu nehmen.