Chronik/Welt

Historisches Treffen nach tausend Jahren Eiszeit

Heute habe Vater Fjodor die Fürbitte um Erleuchtung besonders inbrünstig vorgetragen, befanden die Gläubigen, die sich vor wenigen Tagen zum Abendgebet im Kirchlein des Heiligen Serafim in Moskau versammelt hatten. Kurz zuvor hatten das Moskauer Patriarchat und der Vatikan bekannt gegeben, das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche und der Papst werden sich am 12. Februar auf dem Flughafen von Havanna treffen. Nach der Begegnung – geplant sind zwei Stunden – wollen Kirill und Franziskus sogar eine gemeinsame Erklärung verabschieden. Metropolit Hilarion sprach von einem "historischen" Ereignis.

Zu Recht. Die letzte Begegnung der Oberhirten fand 1054 statt. Sie trennten sich im Zorn, Ost- und Westkirche gehen seither getrennte Wege. Die menschliche Vorstellungskraft, glaubt Vater Fjodor, sei kaum in der Lage, in derartigen Zeiträumen zu denken. "Zwischen dem Großen Schisma und uns, die wir heute leben, liegen 40 Generationen."

Nichts Übernatürliches

Patriarch Kirill, sagt Wladimir Legoida, der oberste Öffentlichkeitsarbeiter der Russisch-Orthodoxen Kirche, habe sich bereits mit führenden islamischen, buddhistischen oder jüdischen Geistlichen getroffen, die Begegnung mit dem Pontifex sei daher "nichts Übernatürliches".

Nichts Übernatürliches? Immerhin verschlissen und verschleißen sich bereits drei Päpste und drei Kremlchefs seit mehr als einem Vierteljahrhundert bei Versuchen, die fast tausendjährige Sprachlosigkeit zwischen Ost- und Westchristen zu beenden.

Schon Michail Gorbatschow lud Johannes Paul II., der ihn 1989 im Vatikan empfing, nach Russland ein, scheiterte jedoch an Patriarch Alexi II. Ebenso Boris Jelzin und Wladimir Putin, die bei ihren Audienzen die Einladung erneuerten. Alexi erwiderte zwar die Grüße, die der Amtsbruder in Rom beiden auftrug, drohte aber mit einem Kirchen-Boykott bei dessen Russland-Besuch. Es war der Herzenswunsch des Polen, doch trotz Putins Vermittlungsbemühungen kam nur ein Besuch in der Russischen Föderation zustande: Als der Papst 2003 in die Mongolei flog, gab es eine "technische Zwischenlandung" in Kasan. Kurz zuvor hatte der Vatikan der Russisch-Orthodoxen Kirche die als Nationalheiligtum verehrte Ikone der Gottesmutter von Kasan zurückgegeben. Alexi verweigerte dennoch den versöhnenden Handschlag und schickte einen rangniederen Kleriker. Schon 1997 hatte er im letzten Moment auch eine Begegnung mit dem Bruder in Christo im Zisterzienserstift Heiligenkreuz bei Wien platzen lassen. Begründung: Ein Treffen müsse Ergebnisse bringen, dazu müssten erst Hindernisse ausgeräumt werden.Gemeint war der Konflikt mit der Unierten Kirche in der Westukraine, die den Papst als Oberhaupt anerkennt. Der Streit eskalierte mehrfach zu Handgreiflichkeiten mit den Orthodoxen. Noch übler nahmen diese, dass katholische Missionare in ihren Jagdgründen wilderten. Denn die Russisch-Orthodoxe Kirche verzichtet auf Bekehrung von Christen anderer Bekenntnisse.

Drängende Themen

Zahlreiche Hindernisse, sagt Legoida, der Sprecher des Patriarchats, seien nicht beseitigt, die "Entwicklungen in der modernen Welt" würden eine weitere Verschiebung des Treffens indes unmöglich machen. Die beiden Kirchenfürsten würden sowohl über gemeinsames Vorgehen beim Stopp der Christenverfolgung im Nahen Osten und in Teilen Afrikas als auch über andere Probleme der internationalen Politik sprechen. In Kuba, weil Franziskus auf dem Weg nach Mexiko, Kirill zu den orthodoxen Christen Lateinamerikas unterwegs sei.

Patriarch Kirill ist Pragmatiker und sucht statt nach alten Kränkungen nach neuen Gemeinsamkeiten. Trotz aller dogmatischen Unterschiede, so Legoida, hätten römisch-katholische und orthodoxe Christen über weite Strecken einen gemeinsamen Wertekanon. Vor allem, was die traditionelle – heterosexuelle –Familie anbelangt.