Chronik/Welt

Gaza: Der Friedhof der Kuscheltiere

Es ist ein gruseliger Anblick. Auf der einen Seite abgemagerte Tiere in kleinen Käfigen. Ein Affe mit einer massiven Geschwulst, ein Lama, das nur aus Haut und Knochen besteht und an Epilepsie leidet. Ein Tiger, der seit Tagen nichts gefressen hat. Ein paar Gitterstäbe weiter die Überreste von toten Tieren. Ein ausgestopfter Löwe, ein verbrannter Affe, verstreute Knochen eines Krokodils. Der Khan Younis-Zoo im südlichen Gazastreifen ging als "schlimmster Zoo der Welt" durch die Medien. Eine Petition wurde gestartet. Mehr als 12.000 Menschen forderten die Tierschutzorganisation Vier Pfoten dazu auf, zu helfen.

Tierarzt Amir Khalil und seine Assistentin Birgit Leber sind gekommen. Mit Futter und Medikamenten. "Hier war noch nie ein Tierarzt", sagt Zoo-Besitzer Mohmed Aweda. "Jeden Tag sterben Tiere." Löwin Lasis, was übersetzt "hübsch" bedeutet, bringt nur 200 Kilo auf die Waage. Um sie zu untersuchen, muss sie betäubt werden. Khalil feuert zwei Narkose-Injektionen mit einem Blasrohr auf das Tier. Doch Lasis will nicht schlafen. Der Tierarzt klettert mit einer weiteren Spritze in einen Käfig, auf dem die Löwin benommen liegt. Ein Tatzenhieb durch die Gitter würde reichen, um ihn schwer zu verletzen. Doch Lasis lässt die Hilfe zu. Sie leidet an einer Hautkrankheit, dazu quälen sie unzählige Zecken. "Dr. Amir", so wird der Tierarzt hier genannt, verabreicht ihr Impfungen. Leber dreht die Zecken heraus. Lasis braucht Vitamine. Und Nahrung.

Und die kommt in mehreren Kartons. Fleisch, Bananen, Erdnüsse und Äpfel werden angeliefert. "Wir versorgen den Zoo drei Monate lang", sagt Leber. Die Affen strecken gierig ihre Arme durch die Gitter. Ein kleiner Hund, der in einem winzigen Verschlag vegetiert, darf zum ersten Mal ins Freie. Erst ängstlich. Dann aufgeregt laufend mit Linksdrall. Er bewegt sich sonst nur im Kreis.Der schlimmste Zoo der Welt ist Khan Younis aber bei Weitem nicht. Einige Kilometer weiter in Rafah sind die Löwen noch dünner. Drei Schritte in eine Richtung – dann steht der Löwe vor dem Gitter. Leere Augen. Gepfauche. Von hier sollen auch jene Löwenbabys stammen, die nun im Flüchtlingslager leben (siehe Zusatzgeschichte).

Khalil und seine Assistentin können die Not lindern. Doch der Tierschmuggel bleibt ein Problem. Durch unterirdische Gänge werden die Tiere ins Land geschleust. "Ich habe mit eigenen Augen zwei tote Elefanten in einem Tunnel gesehen", berichtet ein Einheimischer. Die Tiere waren erstickt. Ein teurer Verlust. Ein Elefant soll 80.000 Dollar gekostet haben. Die Nachfrage ist da. Mindestens fünf Zoos gibt es im Gaza-Streifen. Und nach Schätzungen rund 40 Löwen.

Vier-Pfoten-Spendenkonto: IBAN: AT50 6000 0000 0754 4590; BIC: OPSKATWW

Internet: www.vier-pfoten.at/gaza

Fast 44.000 Menschen leben im Flüchtlingslager in Rafah, direkt an der ägyptischen Grenze. Die Häuser sind klein und dunkel. Doch die Menschen haben sich eingerichtet. Auch Saad El Din El Gamal lebt hier seit zehn Jahren. Hier sind seine sechs Kinder aufgewachsen. Hier leben seine Enkelkinder. Und seit einigen Wochen auch zwei Löwenbabys. Sie sind die Sensation in den engen Gassen des Lagers. Werden sie ins Freie gelassen, bilden sich Menschentrauben.
„Meine Enkeltochter hat sich in sie verliebt. Sie ist schuld, dass ich sie gekauft habe“, lächelt der 55-jährige El Gamal. Alex und Mona, so wurden die Löwen getauft, sind jetzt dreieinhalb Monate alt. Sie stammen aus dem Zoo in Rafah. Und die Tiere sind schon so groß wie die jüngste Enkeltochter, die gerade ihre ersten tapsigen Schritte macht. Die Tiere bewegen sich frei im Haus.

Eine Gefahr – sobald sich die jüngste Enkelin umdreht, pirschen sich die Löwen an. Noch ist es ein Spiel. Doch die Tiere wachsen. „Hier können sie nicht bleiben“, sagt Vier-Pfoten-Tierarzt Amir Khalil. Er verhandelt mit El Gamal.

Kein leichtes Unterfangen. Doch nach einigen Zigaretten und süßem Tee schlägt er ein: „Ich weiß, was es heißt, eingesperrt zu leben“, sagt er. „Ich war selbst im Gefängnis. Die Freiheit ist kostbar.“ Die Idee: Die Löwen sollen ins Ausland gebracht werden – und dort in einem großen Gehege leben. Die Übergabe, so die Abmachung, soll am nächsten Tag erfolgen.

Doch dann die Ernüchterung: El Gamal will plötzlich Geld. Der Deal ist geplatzt. Aufgeben wollen die Tierschützer dennoch nicht. „Wir werden verhandeln. Auch mit den Behörden. Und wir werden eine dauerhafte Lösung außerhalb von Gaza finden“, ist Khalil sicher.