Chronik/Welt

"Femminicidio": Serie von Frauenmorden in Italien

Die Gewalt gegen Frauen hat in Italien neue traurige Schlagzeilen produziert. Binnen nicht einmal eines Tages starben zwei Frauen durch die Hand ihrer Partner oder Ex-Freunde. "Femminicidio" - das Phänomen hat in Italien längst einen eigenen Namen.

Sara verbrannte bei lebendigem Leib. Ihr Ex-Freund übergoss sie nachts an Roms Peripherie mit Benzin und zündete sie an. Die Wirtschaftsstudentin hatte ihm den Laufpass gegeben. Die Mutter fand ihre Tochter am nächsten Morgen verkohlt bei ihrem ausgebrannten Auto und brach zusammen. Saras Fall hat im Juni Italien erschüttert, Fotos der zarten Frau mit den blonden Haaren gehen noch immer durch die Medien. Doch es ist nur ein Schicksal von vielen.

Gerade geschah es wieder. In der Toskana erlag die 46 Jahre alte Vania aus Lucca ihren schweren Verbrennungen. Offenbar wieder Benzin. Unter Verdacht: Ein gleichaltriger Mann. Er hat eine Brandwunde am Arm, aber bestritt die Tat. Nur Stunden später tötete in der Provinz Caserta ein 55-Jähriger im Streit seine Partnerin mit zwölf Messerstichen. Danach stellte er sich der Polizei, das blutige Küchenmesser hatte er dabei.

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70 Tote im ersten Halbjahr

Männer, die Frauen töten - das Phänomen bekam in Italien einen eigenen Namen: "femminicidio". Allein im ersten Halbjahr 2016 kamen in Italien laut Ansa rund 70 Frauen durch die Hand ihrer Ex-Freunde, Ehemänner oder Geliebten um. Das ist zwar fast ein Viertel weniger als im Vorjahreszeitraum - doch in Deutschland wurden laut Bundeskriminalamt im gesamten vergangenen Jahr 74 Frauen von ihren Partnern umgebracht.

"Was sie nicht besitzen können, zerstören sie"


Auch wenn die Zahlen der Länder nicht direkt vergleichbar sind: Es scheint, als rasteten Männer in Italien öfter aus, gerade, wenn sie verlassen werden. Verletzte Männlichkeit, gekränkter Stolz: "Sie benehmen sich wie Kinder. Was sie nicht besitzen können, zerstören sie", sagt die Kriminalpsychologin Laura Baccaro aus Padua. Das "Nein" einer Frau werde nicht ernst genommen und anerkannt.

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Aktionsplan

Die Regierung in Rom hat sich längst den Kampf gegen den "femminicidio" auf die Fahnen geschrieben. Schon das Kabinett von Ministerpräsident Enrico Letta (2013 bis 2014) hatte schärfere Strafen auf den Weg gebracht und Stalking sowie häusliche Gewalt ins Gesetzbuch aufgenommen. Im vergangenen Jahr kündigte die Regierung einen Aktionsplan an. Im September will die Ministerin für Verfassungsreformen, Maria Elena Boschi, ein überinstitutionelles Gremium einberufen.

"Das ist nicht Liebe"


Polizeichef Franco Gabrielli sieht in den Frauenmorden mehr als ein Verbrechen. Sie seien eine kulturelle und charakterliche Sache. Die Taten müssten aus dem Verborgenen geholt und die Opfer zur Anzeige ermutigt werden, sagte er, als er im Juli mit Innenminister Angelino Alfano ein Projekt mit dem Titel "Das ist nicht Liebe" vorstellte.

In 14 Orten ist die Polizei dabei mit Camp-Mobilen unterwegs, um den Frauen den Gang zur Polizei zu erleichtern. Experten zufolge ist die Dunkelziffer extrem hoch, von 90 Prozent ist die Rede. Viele schreckten vor einer Anzeige zurück, aus Angst, damit erst recht den Zorn des Mannes auf sich zu ziehen, sagt Baccaro. Manche blieben aus finanziellen Gründen mit einem gewalttätigen Partner zusammen.

"Am Ende werden die Frauen alleine gelassen"


Schärfere Gesetzte könnten hier nicht helfen. Vielmehr fehlten Anlaufstellen für die Opfer, Frauenhäuser und Geld für Hilfsangebote. "Am Ende werden die Frauen alleine gelassen", sagt Baccaro. Die 55 Jahre alte Bernadette aus Modena etwa. Sie wurde Berichten zufolge seit längerem misshandelt und wandte sich an die Behörden. Im Juni wurde ihre Leiche dann in einem alten Kühlschrank gefunden.

Auch im Fall der 22 Jahre alten Sara aus Rom gab es Warnzeichen. Der Ex-Freund habe sie verfolgt, berichteten Freundinnen später. Als der Ex sah, wie sie ihren neuen Freund küsste, habe er angekündigt, dafür werde sie bezahlen. Dann bat er Sara um ein letztes Gespräch. Statt einer Klärung aber nahm er Rache. "Die letzten Treffen sind die gefährlichsten", sagt Baccaro dazu.

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Ruf nach härteren Strafen

Nach dem Mord an Sara und zum 70-jährigen Bestehen des vollen Frauenwahlrechts beteiligten sich Menschen in ganz Italien an einer Aktion, kleideten sich rot, häuften Berge roter Pumps an, hängten rote Tücher aus dem Fenster, auch als Symbol für vergossenes Blut. Einmal mehr wird diskutiert, ob die Verbrechen an Sara und anderen hätten verhindert werden können, wenn Freunde oder Passanten aufmerksamer gewesen wären. Wieder wird nach schärferen Strafen gerufen, nach mehr Geld für Projekte und mehr Einsatz der Regierung.

"Kulturelle Veränderung"


Italien habe viel getan, sagte Parlamentspräsidentin Laura Boldrini kürzlich. "Jenseits von Gesetzen und Geldern für Anti-Gewalt-Zentren muss es eine kulturelle Veränderung geben." Die Kriminalpsychologin Baccaro sagt, teils seien sich die Frauen ihrer Rolle als Opfer nicht einmal bewusst. Der gesellschaftliche Wandel müsse bei den Kleinsten ansetzen, bei der Erziehung und in der Schule.

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Italien wird von einer Serie von Frauenmorden erschüttert. Jetzt hat es zwei Taten an einem Tag gegeben. In Santa Maria Capua Vetere in der Provinz Caserta erstach am Mittwoch ein 55 Jahre alter Mann seine 50 Jahre alte Lebensgefährtin, dann stellte er sich der Polizei, wie die Beamten in Caserta mitteilten. Er habe das noch blutige Messer bei sich gehabt.

In der Früh starb in Pisa eine 46 Jahre alte Frau, die am Vortag im nahe gelegenen Lucca mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet worden war. Ein gleichaltriger Mann wurde festgenommen. Er bestreite die Tat, habe aber eine Brandwunde am Arm, berichteten Medien. Die Ermittler vermuten, dass die beiden eine Beziehung hatten.

Allein seit Jahresbeginn wurden in Italien mehr als 60 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet. Das Phänomen hat in Italien einen eigenen Namen: "Femminicidio". Es beschäftigt die Gesellschaft seit vielen Jahren. Italienische Politiker quer durch alle Parteien äußerten sich schockiert. "Der Kampf gegen die Frauenmorde betrifft unsere ganze Gesellschaft, uns alle, Männer und Frauen", sagte die Ministerin für Verfassungsreformen, Maria Elena Boschi.