Diamantenräuber waren als Polizisten getarnt
Von Susanne Bobek
Dieser Coup war eines Films würdig: Zwei schwarze Limousinen mit Polizeistreifen und Blaulicht durchbrechen die Absperrungen am Brüsseler Flughafen und rasen auf das Rollfeld zu einer Maschine der Helvetic Airlines, die Montagabend um 19.47 Uhr gerade mit wertvollen Diamanten beladen wird. Die abflugbereiten Passagiere bekommen in der Kabine nichts mit. Die Wachleute der Sicherheitsfirma Brink’s werden von den acht vermummten und schwer bewaffneten Männern in Polizeiuniformen überrumpelt. Diese nehmen 120 Päckchen mit Rohdiamanten an sich und verschwinden in der Nacht. Es fällt kein einziger Schuss. Der Coup dauert nur wenige Minuten.
Am Dienstag wurde eines der Fluchtfahrzeuge in der Nähe des Flughafens ausgebrannt gefunden. Verwertbare Spuren: Keine.
Die Edelsteine stammen aus der flämischen Hafenstadt Antwerpen, dem Zentrum des weltweiten Diamantenhandels. Laut einer Sprecherin des Antwerpener World Diamond Centre (AWDC) sind die erbeuteten Steine 37,4 Millionen Euro wert. Andere Experten schätzen, dass die unbekannten Täter Steine im Wert von 350 Millionen Euro erbeuteten. Die Staatsanwaltschaft wollte am Dienstag keine der genannten Summen bestätigen. Sie sagte nur, dass die ungeschliffenen Rohdiamanten nach Zürich gebracht hätten werden sollen. Wer die Lieferanten und wer die Käufer sind, wurde nicht mitgeteilt.
Diamantenstadt
Antwerpen war ein halbes Jahrtausend lang das Zentrum des weltweiten Diamantenhandels. Bis vor kurzem wurden 80 Prozent aller Rohdiamanten in der flämischen Hafenstadt gehandelt, traditionell von jüdischen Händlern. Heute sind es nur noch 60 Prozent. Denn das Steuerparadies Dubai holt rasant auf. Dort handeln vor allem jainistische Inder, eine von Hinduismus abgeleitete Religion. Sie machen mittlerweile bereits 55 Prozent des weltweiten Umsatzes.
Aus diesem Grund will die belgische Regierung eine Steueramnestie durchbringen, um die Arbeitsplätze von 27.000 Menschen, die direkt oder indirekt im Diamantengeschäft beschäftigt sind, zu sichern. Das sogenannte Antwerpener Diamantenviertel mit vier Börsen und 4500 Firmen ist mit Überwachungskameras und ausfahrbaren Straßenbarrieren gesichert.
Die Diamantenräuber waren laut Staatsanwaltschaft Vollprofis mit Insiderinformationen. Sie wussten, wann der Sicherheitstransporter auf dem Flughafen Zaventem ankommen würde. Und sie wussten auch, welche Ware sie haben wollten. Denn neben den Rohdiamanten befanden sich auch Goldbarren bei der Ladung. Der Diamantencoup gilt schon jetzt als „einer der größten in der Geschichte“. Eine Spezialeinheit ermittelt.
Diamanten, Bargeld, Wertpapiere - wie beim aktuellen Coup auf dem Brüsseler Flughafen haben Kriminelle bei Raubüberfällen und Diebstählen schon mehrfach Millionen gebeutet. Einige spektakuläre Fälle:
Dezember 2008: Mehrere Männer - einige von ihnen als Frauen verkleidet - stürmen in Paris ein Geschäft der amerikanischen Luxusjuwelierkette Harry Winston. Die mit Pistolen und einer Handgranate bewaffneten Ganoven räumen zahlreiche Ringe, Ketten und Uhren im geschätzten Gesamtwert von 85 Millionen Euro ab. Das Geschäft war bereits 2007 überfallen worden. Die Beute betrug damals nach unterschiedlichen Quellen 20 bis 44 Millionen Euro.
März 2007: In einer Bank im Diamantenviertel von Antwerpen werden Edelsteine im Wert von rund 21 Millionen Euro gestohlen.
Februar 2006: Sechs Gangster erbeuten in Tonbridge in England knapp 78 Millionen Euro beim Überfall auf ein Depot für Wertgegenstände.
August 2005: Bei einem Banküberfall im brasilianischen Fortaleza werden umgerechnet rund 57 Millionen Euro erbeutet. Die Räuber hatten einen 80 Meter langen Tunnel bis in den Tresorraum gegraben.
Februar 2005: Bei einem Überfall auf dem schwer bewachten Frachtgelände des Amsterdamer Flughafens Schiphol werden Schmuck und Diamanten im Wert von 80 Millionen Euro geraubt.
Dezember 2004: Beim größten Bankraub in der Geschichte Nordirlands erbeutet eine Bande 38 Millionen Euro, nachdem sie zuvor die Familien zweier leitender Angestellter als Geiseln genommen haben.
Februar 2003: Einbrecher lassen sich am Wochenende im Diamond Center in Antwerpen einschließen. Sie brechen 120 Schließfächer auf und erbeuten Diamanten und Wertpapiere für rund 100 Millionen Euro.
Mai 1990: Dem Geldboten eines Brokerhauses werden in der Londoner City auf dem Markt kaum absetzbare Wertpapiere im Gegenwert von 413 Millionen Euro gestohlen. Der größte Teil der Beute taucht in den kommenden Monaten wieder auf.