Chronik/Welt

Der kochende Star von der Armutsgrenze

Als die letzte Portion Tomatennudeln nur noch für ihren Zweijährigen reichte und sie selbst hungrig ins Bett musste, war Melissa Monroe endgültig klar, dass sie nicht so weitermachen konnte.

Ihr Partner war weg, und weil sie als alleinerziehende Mutter keine Nachtschichten mehr schieben konnte, war es ihr Job inzwischen auch. Sie hatte Schulden und nach Miete, Gas und Strom blieben ihr gerade einmal zwölf Euro die Woche, um sich und ihren Sohn satt zu kriegen.

Das war Melissas Situation vor knapp zwei Jahren. Doch was die heute 25-Jährige aus den 12 Euro – und inzwischen aus ihrem ganzen Leben – gemacht hat, ist eine beeindruckende Erfolgsstory. Eine Story, in der es nicht um das große Geld geht, sondern um Werte wie Haltung, Stolz und Eigeninitiative. Und diese Geschichte erzählt mehr über das Leben in Zeiten von Wirtschaftskrise und konservativer Sparpolitik als alle Armutsstatistiken.

Alltagsgeschichte

Heute verfasst die Schulabbrecherin einen der populärsten Internet-Blogs Großbritanniens, ist Kolumnistin für die renommierte Tageszeitung The Guardian und Beraterin für Hilfsorganisationen wie Oxfam. Ihr erstes Buch erscheint in wenigen Wochen. Darin und in all den Blogs findet sich keine verkitschte Story über den Weg aus der Armut, sondern eine Alltagsgeschichte: Von der Kunst, sein Leben wieder in die Hand zu nehmen, wenn man ganz unten angelangt ist – und das fing für Melissa bei ihrem Namen an, und beim Essen.

Sie wollte nicht mehr Melissa heißen, nicht mehr Nuddeln aus der Dose essen, die sie sich nicht einmal leisten konnte und sie wollte endlich ihren ganzen Frust über das Leben, das man als alleinerziehende Sozialhilfeempfängerin in England zu leben hatte, loswerden.

„Hunger tut weh“

„Hunger tut weh“ war der erste Eintrag in ihrem Blog „A Girl called Jack“. Was dann folgte, waren erste Einkaufslisten und Kochrezepte. Melissa, die sich ohne lange Formalitäten in Jack umbenannt hatte, trug ihre zwölf Euro in den Supermarkt.

Sie kaufte billige Grundnahrungsmittel, vor allem viel Gemüse und fing an zu kochen: Pasta, Eintöpfe, Suppen und Chili. Sie bekam sich und ihren Sohn satt und begann all diese Rezepte ins Internet zu stellen, samt Fotos, genauer Anleitung und den Kosten: Zwischen 25 und 50 Cent pro Person. All das braucht weder außergewöhnliche Zutaten noch allzu viel Kunstfertigkeit oder Zeit in der Küche.

Der Blog weckte sofort riesiges Interesse. Nicht nur die Rezepte, auch Jacks Kommentare über Alltag in Großbritannien, Armut und Rassismus werden heute gelesen und kommentiert. Leser schreiben über Jacks Ehrlichkeit, Jacks Mut und den Mut, den sie selbst wieder gefasst hätten. Bald wurde die Presse auf sie aufmerksam. Der Guardian, nennt sie „das moderne Gesicht der Armut“. Mittlerweile hat sie dort eine eigene wöchentliche Kolumne. Sie stellt Rezepte für maximal einen Euro pro Person vor.

Fernseh-Talkshows, Supermarktketten, politische Parteien; auf einmal wollen sich alle mit Jack Monroe schmücken. Die Labour-Partei machte mit ihr eine Kampagne gegen zu hohe Energiepreise, die Supermarktkette Sainsbury’s drehte mit ihr einen TV-Spot für biologische Nahrungsmittel.

Spenden statt sparen

Doch die 25-Jährige wehrt sich gegen den eigenen Ausverkauf. Sie spendet die Gage für den TV-Spot an eine Obdachlosenhilfe, lehnt andere noch viel lukrativere Werbeangebote ab und sie macht Labour für die Armut im heutigen Großbritannien mitverantwortlich. Sie beginnt sich selbst politisch zu engagieren, für den Kampf, den sie selbst gekämpft hat – gegen Armut. Mit 130.000 Unterschriften trat sie vor ein paar Wochen vor das Parlament in London. Sie klagt ein System an, das in einem der wohlhabendsten Länder der Welt, eine halbe Million Menschen von abgelaufenem Essen aus dem Sozialmarkt abhängig machen würde.

Doch sie habe nicht vor, jemanden zu verurteilen, erklärt Jack über die Aktion in ihrem Blog, sie wolle eine Diskussion anregen, eine Diskussion, die die Regierung viel zu lange ignoriert habe. „Die Armut hat mir eine Stimme gegeben“, schreibt sie, „Ich will einfach, dass meine Erfahrung den Politikern und anderen Verantwortlichen dabei hilft, etwas zu verstehen: Es gibt eine Gefahr, die heute größer ist als je zuvor in unseren Wohlfahrtsstaaten: Armut kann heute jeden von uns treffen.“