Chronik/Welt

Zarnajew kämpft gegen drohende Todesstrafe

Wir sollten ihn einsperren und den Schlüssel wegwerfen“, sagte Bürgermeister Thomas Menino zum Boston Herald. Doch beim Prozess gegen Dschochar Zarnajew geht es nicht um die Länge der Haftstrafe. Es geht darum, ob der 19-jährige Attentäter von Boston hingerichtet wird. Am Mittwoch findet die erste Anhörung des jungen Mannes mit tschetschenischen Wurzeln statt. Er ist in dreißig Punkten angeklagt, darunter für den Einsatz einer Massenvernichtungswaffe. 17 der Punkte könnten mit dem Tod bestraft werden.

Er selbst sieht sich als unschuldig an. Der 19-Jährige betrat den überfüllten Gerichtssaal in orangefarbener Häftlingskleidung, an Händen und Füßen trug er Fesseln. "Nicht schuldig", erwiderte der junge Mann mehrfach mit tiefer Stimme auf die Vorwürfe. Nach sieben Minuten war die Anhörung vorbei. Bis zum Prozessbeginn dürften noch Monate verstreichen.

Vier Tote, 260 Verletzte

Die Anschläge auf den Marathon am 15. April, die bald verfilmt werden sollen, sitzen den Bewohnern der Stadt noch tief in den Knochen. Insgesamt starben vier Menschen, mehr als 260 wurden verletzt – viele davon verloren Arme oder Beine.

Die Angehörigen der Opfer und Hunderte der damals Verletzten wurden im Bundesgericht erwartet, genauso wie ein Ansturm der Medien. Zum ersten Mal sollten die Familien den dunkelhaarigen und blassen Mann sehen, der zusammen mit seinem Bruder die beiden Bomben im Zieleinlauf des Marathons gezündet haben soll.

Dschochar Zarnaejew wurde zuletzt in der Öffentlichkeit gesehen, als er schwer verwundet festgenommen wurde. Fünf Tage hatte die Polizei ihn gejagt.

Nervenkrieg mit Polizei

Die 74 Seiten lange Anklageschrift zeichnet ein Bild der blinden Zerstörungswut: Nachdem er zusammen mit seinem älteren Bruder Tamerlan die aus Druckkochtöpfen und Splittern gebastelten Bomben hochgehen hatte lassen, versteckten sich die beiden, bis das FBI Fahndungsfotos veröffentlichte. Daraufhin fuhren sie in ihrem Auto zum Campus der renommierten Hochschule MIT und erschossen eine Sicherheitskraft der Universität. Dabei waren sie bis auf die Zähne bewaffnet: mit fünf improvisierten Sprengsätzen, einer halbautomatischen Handfeuerwaffe, Munition, einer Machete und einem Jagdmesser waren sie losgezogen.

Noch in der selben Nacht kaperten sie mit Waffengewalt einen Mercedes, bis die Polizei sie in der Vorstadt Watertown stellte. Bei dem folgenden Schusswechsel soll Tamerlan, der ältere Bruder, getroffen worden sein. Als Dschochar floh, soll er seinen verwundeten Bruder überfahren haben und so laut Anklage „zu dessen Tod beigetragen haben“.

Der 19-jährige selbst konnte entkommen. Erst am nächsten Tag wurde er schwer verletzt unter der Plane eines Boots in einem Vorgarten gefunden. In die Innenwand des Bootes hatte Dschochar Zarnaew gekritzelt: „Die USA töten unsere unschuldigen Zivilisten“ und: „Wir Muslime sind ein Körper – verletzt ihr einen, verletzt ihr alle.“

Gerichtsexperten gehen davon aus, dass die Verteidigung Tamerlan Zarnaew als treibende Kraft hinter den Anschlägen darstellen wird. Doch die Staatsanwaltschaft will die Todesstrafe für den jüngeren Bruder.

Im Bundesstaat Massachusetts wurde diese jedoch 1984 für verfassungswidrig erklärt. Die letzten Hinrichtungen fanden hier vor 66 Jahren statt. Doch Zarnaew ist vor einem Bundesgericht angeklagt. Damit sind für ihn bundesweit geltende Strafbestimmungen anwendbar – also auch die Todesstrafe.