Chronik/Welt

Cousin über toten Lkw-Fahrer von Berlin: "Er war ein gewissenhafter Mensch"

Polen trauert um den Lkw-Fahrer, der bei dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt getötet wurde. Den Polen, dessen Lastwagen der Täter wohl in die Menschenmenge lenkte, bezeichnete Regierungschefin Beata Szydlo als "das erste Opfer der abscheulichen Gewalttat". Der 37-Jährige, der für eine Spedition bei Stettin arbeitete, wurde nach der Bluttat tot in der Fahrerkabine aufgefunden.

Für seine Familie werde nichts mehr wie es war, schreibt Speditionsbesitzer Ariel Zurawski auf der Facebook-Seite des Unternehmens. Der Pole hinterlässt seine Frau und einen 17-jährigen Sohn. Auch Zurwaski verlor mehr, als bloß seinen Angestellten: Der Fahrer war sein Cousin. "Ein doppelter Verlust", sagt Zurawski. "Das, was passiert ist, hat uns bis an unsere Grenzen erschüttert."

"Er war ein gewissenhafter Mensch"

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Doch der Unternehmer wirkt gefasst, als er nach den Ereignissen immer wieder vor die Presse tritt. Er möchte von seinem Cousin erzählen, den er als Arbeiter und Menschen in den höchsten Tönen lobt. "Er war ein gewissenhafter Mensch", sagt Zurawski. Er schluckt. "Ich hätte meine Hand für ihn ins Feuer gelegt."

Zurawski erzählt weiter: "Wenn er am Samstag zwei Bier getrunken hat, ist er am Sonntag nicht in den Wagen gestiegen." Die Familie ist erschüttert. Der Vater seines Cousins musste noch am Montagabend ins Krankenhaus eingeliefert werden, dort erhält er starke Beruhigungsmittel, wie Zurawski erzählt.

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Zurawski zeigt ein Handy-Foto seines Verwandten, das nur wenige Stunden vor dessen Tod in einem Berliner Bistro aufgenommen worden sein soll. Eines seiner letzten Lebenszeichen aus Berlin. Den Speditionsbesitzer plagen auch Sorgen, sein Cousin könnte womöglich als Komplize betrachtet werden. "Es war mit Sicherheit zu sehen, dass er gekämpft hatte", sagt Zurawski, der das Opfer auf einem Foto identifizieren musste. Er habe das Bild zunächst gar nicht sehen wollen, sagt er. "Es war drastisch." Der Angreifer müsse seinen Cousin beim Einsteigen ins Fahrerhaus überrumpelt haben, mutmaßt Zurawski. Denn dieser war mit 120 Kilo ein stattlicher Mann und sicherlich nicht einfach zu überwältigen, wie Zurawski erzählt.
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Nicht nur der Spediteur ist erschüttert über den Anschlag. In Sobiesmysl ist das Unglück in der deutschen Hauptstadt Dorfgespräch. Barbara und Kazimir Matuk leben im Plattenbau gegenüber von Zurawskis Haus. Am Montagabend, als sie die ersten Nachrichten und Bilder im Fernsehen und Internet sahen, dachten sie im ersten Moment, es sei ihr Sohn Slawomir.

Der 34-Jährige arbeitet ebenfalls bei Zurawski und war am Montag mit einem ähnlichen Lastwagen in Berlin. Die Familie durchlebte bange Momente der Ungewissheit, bis sich ihr Sohn wohlbehalten per Telefon meldete: "Es war wie russisches Roulette", berichtet Barbara Matuk. Es hätte auch Slawomir sein können.

"Brutal ermordet"

Dass der Pole ein Terroropfer ist, steht auch für die polnische Presse außer Frage. Lukasz sei "brutal ermordet" worden, berichtet das polnische Fernsehen. "Der Wagen wurde gekidnappt", schreibt das Boulevardblatt Fakt. Sollten sich Berichte bestätigen, nach denen der Pole erst nach der Tat erschossen wurde - womöglich, weil er dem Täter ins Lenkrad griff und weitere Opfer verhinderte - würde sich das Bild des gewissenhaften Mannes komplettieren.

Ermittler verfolgen offenbar heiße Spur

Die Polizei hat nach übereinstimmenden Medienberichten eine erste heiße Spur nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt. Im Lkw, der in die Menschenmenge gesteuert wurde, seien Ausweisdokumente gefunden worden, berichten Spiegel und Bild am Mittwoch übereinstimmend auf ihren Online-Seiten.

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Der Spiegel berichtet, unter dem Fahrersitz sei offenbar eine Duldungsbescheinigung gefunden worden. Laut Bild gilt der darauf zu identifizierende Mann als Gefährder. Er sei eingebettet in ein großes Islamisten-Netzwerk und werde von Ermittlern als "brandgefährlich" eingestuft.

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LautSpiegel haben die Ermittler beim Generalbundesanwalt eine Öffentlichkeitsfahndung beantragt. Die Vorbereitungen dafür liefen. Die Nachrichtenagentur dpa meldete zudem unter Berufung auf nicht näher genannte "Sicherheitskreise" in Nordrhein-Westfalen gebe es "unmittelbar bevorstehenden Maßnahmen". Von den Sicherheitsbehörden waren zunächst keine Angaben dazu zu erhalten.

Das Dokument sei auf einen tunesischen Staatsbürger namens Anis A. ausgestellt, berichten beide Medien. Laut Bild ist der Mann zwischen 21 und 23 Jahre alt. Der Verdächtige solle auch mit zwei Aliasnamen und verschiedenen Geburtsdaten bekannt sein. Er sei der Polizei wegen Körperverletzung bekannt, konnte aber noch nicht angeklagt werden, weil er untergetaucht sei. Die gefundene Duldungsbescheinigung sei im Kreis Kleve (Nordrhein-Westfalen) ausgestellt worden.

Die Berliner Polizei hat nach eigenen Angaben mehr als 500 Hinweise zu dem Anschlag erhalten und fahndete nach einem möglicherweise bewaffneten Täter. Einen zunächst festgenommenen Verdächtigen hatten die Ermittler am Dienstag wieder freigelassen, nachdem sich gegen ihn kein dringender Tatverdacht ergeben hatte. Auch Mittwochfrüh war nach Medienberichten ein Verdächtiger vorübergehend festgenommen, dann jedoch wieder freigelassen.

Zum Tathergang gibt es nach wie vor viele offene Fragen. Der polnische Lkw-Fahrer, der auf dem Beifahrersitz saß, hat nach Medienberichten bis zum Attentat noch gelebt. Das habe die Obduktion ergeben, berichtete die Bild. Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen. Nach dem Anschlag wurde der Pole tot im Lkw gefunden, er wurde mit einer kleinkalibrigen Waffen erschossen, von der bisher jede Spur fehlt.

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Unklar war zudem, ob die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) hinter dem Anschlag steht. Sie hatte den Angriff für sich reklamiert. Der IS hatte sich in der Vergangenheit immer wieder über sein Sprachrohr Amaq zu Anschlägen in unterschiedlichen Ländern bekannt. Die Meldung zu Berlin wurde über die üblichen Kanäle der Terrormiliz verbreitet, auch ihre Form entspricht früheren Bekenntnissen.

Allerdings erfolgte die Erklärung erstmals, bevor der Täter gefasst oder getötet wurde. Täterwissen gab der IS - wie auch schon in früheren Fällen - in seinem Bekenntnis nicht bekannt.