Chronik/Welt

"Therapiesitzung" für Bürgermeister der Flüchtlingsgemeinden

Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Therapierunde: Männer und Frauen sitzen im Kulturzentrums Gazi, einem früheren Gasometer im trendig gewordenen Athener Bezirk Kerameikos, im Kreis. Es spricht immer nur einer – leise, die Gruppe nickt nachdenklich.

Im Grunde ist es auch eine Art Therapiesitzung für Bürgermeister aus Griechenland, Italien und der Türkei, deren Gemeinden von der Flüchtlingskrise betroffen sind. Auch Vertreter von NGOs nehmen an den Workshops bei der zweiten Internationalen Act.Now Bürgermeisterkonferenz teil. Die erste derartige Veranstaltung gab es im Jänner in Wien. Beide Events gehen auf die Initiative von Patricia Kahane und André Heller zurück.

In Athen besprach man die bisherigen Ergebnisse des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens. "Die Lage hat sich verschlimmert", sagt Dimitrios Karalis, Vizebürgermeister der Insel Chios – einer der Hauptankunftsorte. Anfangs sei seine Insel sehr offen gewesen. Man habe eine Einrichtung für 1200 Menschen bereitgestellt, wo sie bis zu 72 Stunden bleiben können. "Nach dem Abkommen kam die doppelte Zahl an Flüchtlingen, die auf unbefristete Zeit blieben. Das hat die Meinung der Inselbewohner geändert", sagt er. Die Kriminalität sei gestiegen, es habe sogar Mordfälle gegeben.

57.000 Flüchtlinge

In Griechenland sitzen mittlerweile mehr als 57.000 Flüchtlinge fest. Die Verteilung in andere EU-Länder oder die Abschiebung zurück in die Türkei geht nur mühsam voran. Und die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge steigt – allein gestern, Sonntagfrüh, retten Einsatzkräfte vor Lesbos 52 Menschen von überfüllten Schlauchbooten.

Wenn es darum gehe, Flüchtlingen eine Flasche Wasser zu geben und sie weiterzuschicken, sei alles in Ordnung, sagt Apostolos Veizis, einer der Leiter von "Ärzte Ohne Grenzen" in Griechenland. Wenn aber die Leute bleiben und mehr Wasser, Essen und ein WC brauchen – da höre die sogenannte Willkommenskultur meist auf, meint er: "Wenn man eine Flüchtlingsanlage hat, kümmern sich alle nur darum. Keiner bemüht sich um die Gemeinde, in der sich das Lager befindet und darum, ob auch alle ihre Bedürfnisse gedeckt wurden. Wenn das der Fall ist, ist auch die Akzeptanz der Flüchtlinge durch die Gemeinde besser."

Mustafa Tosun, Bürgermeister der türkischen Gemeinde Dikili, wo viele Flüchtlingsboote starten, erzählt dem KURIER, er sei zur Konferenz gekommen, um die Meinung seiner europäischen Kollegen über die Flüchtlingskrise zu erfahren. Vom Abkommen hält er nicht viel. "Wir sind dagegen, weil es Menschen wie Ware behandelt", sagt er. Die Vereinbarung sieht vor, dass die EU einen Syrer aus der Türkei aufnimmt für jeden Flüchtling, den die Türkei aus Griechenland zurückholt. Wie es weitergeht, ist nicht klar, und über den Putschversuch möchte Tosun nicht sprechen. Die Frage hinsichtlich des Umsturzversuches sei, "ob er auch das Flüchtlingsabkommen gegenstandslos machen würde", sagt der Gastgeber der Konferenz, Hannes Swoboda. Darauf gibt es noch keine Antwort.