Chronik/Welt

Wie China seine Bürger überwacht und beurteilt

Wer schaut heimlich Pornos, verbringt zuviel Zeit mit Computerspielen, lästert über die kommunistische Partei, pflegt seine alten Eltern nur halbherzig und zahlt seine Strafmandate nicht pünktlich? Das gibt Abzüge im chinesischen Sozialkredit-Ranking. Wer dagegen im Internet gesunde Babynahrung bestellt und parteinahe Zeitungen liest, erhält Pluspunkte.

Die chinesische Regierung arbeitet daran, sich den kommunistischen Musterbürger zu erziehen und wertet dazu alle Datenspuren, die der Mensch hinterlässt, beinhart aus. Da in China das Handy wichtiges Zahlungsmittel ist und die großen Internetfirmen Alibaba und Tencent die Daten ihrer Nutzer an den Staat liefern, fällt die totale Überwachung leicht.

Bestnote AAA

Ab 2020 soll sich das 1,3 Milliardenvolk flächendeckend über eine Smartphone-App den eigenen Punktestand abrufen können. Derzeit gibt es nur Modellregionen wie Schanghai mit 26 Millionen Einwohnern. In einem Jahr muss jeder Chinese seinen Sozialkredit-Punktestand regelmäßig vorweisen können, etwa beim Ticketkauf oder beim Kredit-Beantragen auf der Bank.

Wenn ein Nutzer mindestens 1300 Punkte hat, erhält er wie bei einer Ratingagentur die Bestnote AAA. Neben den Behörden erhalten auch Banken und Arbeitgeber, Vermieter, Einkaufsplattformen, Reiseveranstalter und Fluggesellschaften Einsicht in die Bewertung.

Mustergültige Bürger erhalten zur Belohnung vergünstigte Kredite oder eine bessere Krankenversicherung. Auch bei der Vergabe von Studienplätzen soll sich eine hohe Punktezahl der Eltern positiv für die Kinder auswirken. Wer dagegen unter einen Wert von 600 Punkten fällt, landet in der schlechtesten Kategorie D.

2018 verweigerte Chinas Staats- und Parteiführung in rund 17,5 Millionen Fällen Menschen das Reisen mit dem Flugzeug. Fast 5,5 Millionen Mal durften Reisende keine Schnellzug-Tickets kaufen. Das steht in einem Report des zuständigen Sozialkredit-Informationszentrums, der jetzt veröffentlicht wurde. Diese de-facto-Beschränkungen der Bewegungsfreiheit sollen abschrecken und die Menschen in China zu besserem Verhalten erziehen. Entsprechend berichteten die staatlichen Medien stolz und sehr positiv über die Zahlen. Man habe „große Fortschritte“ beim Aufbau des Sozialkredit-Systems gemacht, schrieb etwa Global Times. Die Strafmaßnahmen wirkten sich bereits auf, so wörtlich, „unehrliche Subjekte“ in China aus.

Denn die Menschen mit wenigen Punkten werden sozial geächtet, wer sich mit solchen Menschen zeigt, dem droht ebenfalls Punkteabzug. Nichts geht mehr ohne gute Bewertung, vom Einchecken im Hotel bis zum Schulbesuch der Kinder oder der Beförderung im Job.

„Orwell’sches System“

Menschenrechtsgruppen kritisieren das System scharf. Die US-Regierung nennt Chinas Sozialkreditsystem ein „Orwell’sches System“, mit dem der Staat jede Facette des menschlichen Lebens kontrolliere. „Vordergründig will die Regierung durch dieses System illegales und unmoralisches Verhalten unter Bürgern wie Unternehmern unterbinden, um Stabilität und Sicherheit zu erhöhen,“ sagt die deutsche Sinologin Kristin Shi-Kupfer. Tatsächlich gehe es Peking aber darum, „potenzielle soziale und politische Unruhestifter frühzeitig zu identifizieren und Anreize für konformes Verhalten zu setzen.“