Tanz in Weiß: Weltpremiere der Spanischen Hofreitschule in London
Von Anna-Maria Bauer
Als die Lichter in der Halle wieder ausgehen und die Scheinwerfer bloß zwei Kreise am Sandplatz in gleißendes Licht tauchen, rückt die Britin Stephanie Kolvik auf ihrem Klappstuhl ein wenig weiter nach vorne. Für den nächsten Programmpunkt schreiten die weißen Hengste der Spanischen Hofreitschule an der Hand ihrer Bereiter in die Wembley Arena in Nordwestlondon; da will sie besonders genau hinsehen.
Die Hengste verteilen sich am Platz, sammeln sich. Und dann tritt mit Hannah Zeitlhofer die erste Bereiterin in den Lichtkegel. Es ist jene Lektion, vor der die 38-Jährige in den vergangenen Monaten, in den Vorbereitungen zum Premierenabend in London, am meisten nervös war.
Der Kennerblick
Denn die Briten sind in gewisser Hinsicht das beste, aber gleichzeitig auch das schwierigste Publikum für einen Auftritt der Spanischen Hofreitschule. Sind sie doch mit Pferden vertraut wie kaum eine andere Nation Europas: 3,5 Millionen Briten sind schon einmal auf einem Pferd gesessen, 1,6 Millionen sitzen zumindest einmal im Monat im Sattel. Besucherin Stephanie Kovik reitet seit ihrem vierten Lebensjahr. Susan Williams aus London ritt als Jugendliche. Brigitte Hackney ist selbst Dressurreiterin und mit ihrem Mann aus dem 300 Kilometer entfernten Cheshire angereist.
Die Briten kennen aber nicht nur Pferde, sondern auch Paraden gut. Millionen Schaulustige haben im Juni die traditionelle Königsparade Trooping the Colour mitverfolgt, bei der nicht nur 1.400 Soldaten, sondern auch 200 Pferde im Gleichschritt über die Prunkstraße The Mall zogen.
„Im Pferdeland England“, meinte Hannah Zeitlhofer während der Generalprobe , „spürt man die Wertschätzung besonders, aber dafür muss alles noch perfekter sein“.
Der Kapriolensprung
Der Hengst an ihrer Hand, Neapolitano Aquilea, ist das jüngste der 28 Pferde, die mit nach England kamen. Er ist Tourneen noch nicht gewöhnt: die fremden Gerüche, die dunkle, unbekannte Halle, die Zuschauer, die auf Augenhöhe (anstatt wie in der Winterreitschule etwas erhöht) sitzen.
Der Lipizzaner tänzelt am Stand, hebt die Beine immer kraftvoller. Das Publikum zieht, als wären die vielen Menschen eine Einheit, die Luft scharf ein. Und dann bäumt er sich auf, springt in die Luft und kickt die Hinterbeine nach hinten weg: die Hohe Kunst, eine Kapriole. Das Publikum klatscht – eifrig, und doch ein bisschen verhalten, um die Pferde nicht zu irritieren.
Die Konzentration herrscht in der Halle, seit sieben weiße und ein schwarzer Hengst unter der Führung von Oberbereiter Rudolf Rostek das erste Mal hineingeschritten sind. Ein bisschen auch, weil ein spezieller Ehrengast im Publikum sitzt: Prinzessin Anne, eine große Pferdeliebhaberin und passionierte Springreiterin.
Die Schwester von König Charles war wiederholt in der Spanischen Hofreitschule zu Gast, hat einmal sogar Reitunterricht auf einem Lipizzaner bekommen und 2017, während der Fête Imperiale, den Preis der Spanischen Hofreitschule erhalten: eine Lipizzaner-Pferdefigur, die eine Levade vorführt, mit 12.527 Swarovski-Kristallen verziert ist, und von der es insgesamt nur zehn Stück gibt.
Der königliche Besuch
Die Prinzessin sitzt eingerahmt von Alfred Hudler, Geschäftsführer der Spanischen Hofreitschule und dem österreichischen Botschafter in London, Bernhard Wrabetz, der selbst ein bisschen aufgeregt ist. „Für Österreich“, meinte er vor Programmbeginn, „sind Aushängeschilder wie die Spanische Hofreitschule unglaublich wichtig“.
Die hohe Qualität der Hofreitschule färbe auf das Image Österreichs insgesamt ab. Und das ist – in Anbetracht von Brexit und Pandemie – in Großbritannien besonders wichtig, ist das Land doch nach Deutschland der zweitwichtigste europäische Markt für den österreichischen Tourismus. Die Mehrheit der Briten kommt dabei (noch) für den Wintersport und die Weihnachtszeit.
Christine Barry hat ihren Flug für im Dezember bereits gebucht. Um die Christkindlmärkte zu besuchen und ihren Neffen im Konzerthaus singen zu sehen. Die Britin hat gerade ihre österreichische Staatsbürgerschaft erhalten; ihre Mutter war Wienerin. „Sachertorte und Sauerkraut sind also in meiner DNA.“ Und seit diesem Abend ein bisschen auch die Spanische Hofreitschule.
Nach der Pause wird das britische Publikum dann noch Zeuge einer Weltpremiere. Erstmals in der 459-jährigen Geschichte der Spanischen Hofreitschule führte mit Theresa Stefan eine Bereiterin die Übung am Langen Zügel aus. Als sie den Hengst Favory Wanda II ohne sichtbare Kommandos durch Gangarten und Figuren lenkt, hält sich die Vielreiterin Stephanie Kolvik vor Überraschung die Hand vor den Mund. Sie arbeite ja viel mit Pferden, sagt sie. „Aber das, das ist schon der Wahnsinn.“