Spanien: Leere Ställe, Klosterruinen und Stille
Von Josef Manola
Wenn es dunkel wurde im Corneja-Tal in der Provinz Avila, dauerte es meist nicht mehr lange und ein kleiner Mann in Gummistiefeln trieb seine Herde ins Tal. Fermin war der älteste Hirte im Umkreis, sein ganzes Leben hatte er mit seinen Tieren in den Bergen verbracht. Gleichgültig, ob es regnete oder die Sonne stechend am Himmel stand, gegen 6 Uhr trieb er seine Ziegenherde ins Gebirge, um erst während der Dämmerung wieder zurückzukehren.
Es war einfach, mit ihm ins Gespräch zu kommen: Fermins Wettervorhersagen waren zuverlässig, er setzte auf Erfahrungswerte, wie die Form der Wolken und den Wind. Er war hier geboren, hatte sein Leben in dem Weiler verbracht, ging da zur Schule und war nur einmal länger weg: „in der Hauptstadt“, wie Fermin sagte, um dort den Militärdienst abzuleisten.
Zwanzig bis dreißig Familien und deren Kinder lebten einst in dem Örtchen, das eigentlich nur ein Ableger der bergab gelegenen Ortschaft Navacepedilla ist. Am Ufer des Flusses Corneja gibt es fruchtbare Erde, hier wurde Gemüse angepflanzt, einige Obstbäume stehen noch heute. Mangel an Arbeitsplätzen brachte schon in den 1960er-Jahren viele zum Auszug. Die ersten Familien kehrten dem Dorf den Rücken. Schließlich blieb eine vierköpfige Familie übrig – und Fermin. Die Schule ist verlassen, einige verrostete Tische und Bänke blieben von Souvenirsammlern und Eisenhändlern verschont.
Zurück bleiben Alte
Wie alle leeren Dörfer im ländlichen Spanien wird auch dieses Dorf von verfallenden Häusern und einer eigentümlichen Stille geprägt: dem Fehlen von Motorenlärm, Kindergeschrei.
Die Entwicklung in Zahlen. In 80 Prozent der spanischen Städte und Ortschaften sinkt die Zahl der Einwohner, nur Großstädte verzeichnen noch Wachstum.
Wenn die Bevölkerung auf dem Land gegen diese Entwicklung mobilisiert, findet ihr Protest in Madrid statt. Wie kürzlich bei einer Großkundgebung, in der alle Regionen und – überraschend – auch alle politischen Parteien vertreten waren. Alle Demonstranten sprachen vom Ausbau der Infrastrukturen, der Notwendigkeit schnellen Internets und guter Verkehrsverbindungen, die zum Wiederaufbau der Dörfer beitragen würden. Nur: Wie sollen diese Investitionen finanziert werden?
Ein Trend soll helfen. Seit einigen Jahren finden sich wieder Interessenten für Häuser auf dem Land.
Für jeden gibt es das passende Angebot in einer eigenen Rubrik auf den Immobilienseiten: „Verlassenes Spanien“. Mehrere Immobilienbüros haben sich, verteilt auf die gesamte Iberische Halbinsel, auf die entvölkerten Regionen spezialisiert. Da findet man einen verfallenen Stall um ein paar tausend Euro ebenso wie ganze Dörfer.
Als Kunden kommen Wohngemeinschaften „alternativer“ Paare um die 30 in Frage, die zu Eigenleistungen bereit sind. „Wenn sie auch Erfahrungen in der Gebäuderestaurierung haben“, erzählt Immobilienhändlerin Elvira Fafian von aldeasabandonadas.com aus Erfahrung, „kann wenig schief gehen“.
Solche Dorf-„Kommunen“ investieren meist nur so viel, wie sie angespart haben und bringen Enthusiasmus, aber auch eine nüchterne Erwartungshaltung mit: „Sie wissen, dass Landleben nicht nur Sonne und Vogelgezwitscher, sondern Kälte, Regen und tagelange Isolation bedeuten kann.“
Krähen verboten
Auch besser situierte Naturfreunde, die sich einen Landsitz leisten wollen, finden passende Angebote. Nach oben gibt es kein Limit: Der Kaufpreis eines zum komfortablen Wohnsitz umgebauten Klosters klettert schnell auf Millionen Euro.
Auch Konflikte sind vorprogrammiert. So urteilte ein Richter in Asturien, dass das Krähen eines Hahns Städtern auf der Suche nach Ruhe nicht zuzumuten sei. Der Protest des betroffenen Bauern im Video wurde viral: „Die spinnen, die Städter. Sie kommen aufs Land und wundern sich, dass ein Hahn bei Sonnenaufgang seinen Weckruf loswerden muss.“
Auch im Bergdorf des Ziegenhirten Fermin haben einige Familien aus dem 140 Kilometer entfernten Madrid ihre Wochenendrefugien eingerichtet. Verfallene Ruinen wurden aufgebaut, der lokale Baumeister stand mit Rat zur Seite. Heute kommen Neubewohner in der wärmeren Jahreszeit regelmäßig ins Bergdorf. Dass es kein Netz für Handys gibt und die Abende auf die Betrachtung des Sternenhimmels beschränkt sind, macht für sie den Reiz des Landlebens aus.
Inzwischen sind auch Kinder zu hören, die mit Fußball für Lärm in den sonst stillen Gassen am Ufer des Corneja sorgen. Die gekrümmte Gestalt des Hirten Fermin, dessen Alter nie zu erfahren war, ist allerdings verschwunden: Auf Drängen Verwandter zog er in ein Seniorenheim, seine Herde wurde verkauft, das Glöcklein der Leitziege ist verstummt.