Chronik/Welt

Missbrauchs-Gipfel im Vatikan: "Echte Wende" nicht in Sicht

Die Kirche muss dringend Glaubwürdigkeit und Vertrauen wiedergewinnen: Die Welt erwartet von der Kirche "konkrete und wirksame Maßnahmen" gegen sexuellen Missbrauch durch Geistliche. Mit diesen Worten hat Papst Franziskus am Donnerstag die mit großer Aufmerksamkeit verfolgte viertägige Konferenz zum "Kinderschutz in der Kirche" im Vatikan eröffnet.

Zu "Mut und konkretem Handeln" fordert der Pontifex alle 190 anwesenden Bischöfe und Kardinäle auf. Auch der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn nimmt derzeit an dem Anti-Missbrauchs-Gipfel teil.

Geringe Erwartung

Vatikanbeobachter und Vertreter von Opferverbänden haben nur eine sehr gedämpfte Erwartung, dass endlich Konsequenzen aus den Missbrauchsskandalen der vergangenen Jahrzehnte gezogen werden. Eine weltweite Null-Toleranz-Politik gegenüber sexuellem Missbrauch durch Geistliche scheint weit entfernt. „Es kann höchstens eine Schadensbegrenzung geben, aber eine echte Wende ist nicht zu erwarten“, sagt eine langjährige Vatikanexpertin.

 Auch wenn ein  konkreter Plan des Vatikans fehlt, zeigen einzelne Schritte den Willen zur Veränderung.

Eine zentrale Rolle bei dem Gipfel spielt der maltesische Erzbischof Charles Scicluna. Der vatikanische Verantwortliche zur Aufklärung von Sexualverbrechen durch Kleriker zeigt sich entschlossen: "Die Gläubigen sollen wissen, dass wir es ernst meinen. Wir werden Kinder um jeden Preis schützen."

Scicluna fordert strenge Prüfung von Priestern

Er unterstrich die Notwendigkeit, mit der Ziviljustiz zusammenzuarbeiten: Kirchliche Stellen müssen bei Missbrauchsanzeigen die staatlichen Gesetze beachten. Außerdem plädiert er für eine strenge Überprüfung von Priesteramtskandidaten: Wer in Vergangenheit im sexuellen Bereich eine Straftat begangen oder problematisches Verhalten gezeigt habe, dürfe nicht zum Priestertum zugelassen werden. Missbrauchsanzeigen zu unterschätzen oder zu verheimlichen sei eine "schwere Sünde gegen die Integrität der Kirche".

Erstmals erklären sich italienische Bischöfe bereit, die Anzeigepflicht gegen Priester bei Missbrauchsverdacht einzuführen. Der Beschluss soll bei der nächsten Versammlung der italienischen Bischofskonferenz (CEI) im Mai umgesetzt werden, erklärte CEI-Präsident Kardinal Gualtiero Bassetti.

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Keine Anzeigepflicht

Verbände von Missbrauchsopfern fordern seit Jahren eine Anzeigepflicht für Kirchenmänner bei der Justiz des jeweiligen Staates. Diese müsste für Bischöfe, Seelsorger und Kirchenmitarbeiter gelten.

Aufgrund der fehlenden Anzeigepflicht im Vatikan, so die Kritik, haben sich viele Bischöfe ihrer Verantwortung entzogen.  Sie werfen dem Vatikan vor, dass deswegen "unzählige Missbrauchsfälle" weltweit bisher nicht ans Licht gekommen seien. Bisher hätte die Kirche den Schutz der Institution meist über den Schutz der Kinder und Opfer gestellt.

Das Problem ist, dass nicht alle hochrangigen Geistlichen die  Linie der Bischöfe aus europäischen Ländern und der USA vertreten. Die vorherrschende Ansicht  sei, berichtet  ein Vatikan-Insider, die Strafen verhältnismäßig und nicht auf  Druck der Öffentlichkeit gegen die angeklagten Priester zu verhängen. 

Viele Fälle in Europa und USA

"Auch wenn Afrika und andere Regionen der Dritten Welt oft in Frage gestellt werden, ist die Erste Welt selbst voller düsterer Fälle. Sie reichen in die 1990-Jahre zurück und spielten sich von Detroit bis Warschau, von Dublin bis in die Lombardei ab“, weiß Vatikanbeobachter Marco Politi. Er selbst hat ein Archiv an schauerlichen Augenzeugenberichten.   Die "#MeToo-Debatte, die an die Kirchentüren klopft" bringt nun, so Politi, die klerikale Struktur ins Wanken: "Nicht nur wegen der Kindesmissbrauch Skandale, sondern auch wegen der sexuellen Manipulation vieler Frauen: die Erwachsenen,  wurden seelisch unterdrückt oder eingeschüchtert von denen, die sich "in der Person Christi" zeigten.

Am Vortag des Kinderschutz-Gipfels kam es zwischen Opfern und Bischöfen auch zu lauten Tönen. Enttäuschung herrschte darüber, dass der Papst die Missbrauchsopfer nicht persönlich empfangen hat. Die Präsenz an Frauen war dabei - wie immer im Vatikan - viel zu gering.