Die Vermessung der Krise: Das Kohlenstoff-Budget
Von Bernhard Gaul
Herzliche Grüße aus Sharm El-Sheikh, ich bin seit Montagfrüh vor Ort.
Der kleine Wüstenort am Südsinai ist ein wüster Ort, ich war hier schon einmal mit Freunden vor dreißig Jahren, und hatte es in überschaubarer Dimension in Erinnerung.
Heute sieht es eigentlich fürchterlich aus, es ist kein Ort mehr, sondern ein Megaressort neben dem nächsten, meist als gated community, da darf nur rein, wer sich das leisten kann, oder arbeiten muss. Die Hauptstraße ist sinnlos achtspurig, überhaupt fällt auf, dass sich hier die Asphaltaficionados ausgetobt haben.
Und ich komme nicht hinweg über dieses große Thema, Anspruch und Wirklichkeit. Sharm ist zur COP vollgepflastert mit Werbe-Klimasprüchen von Banken und dergleichen, dass wir genau jetzt alles besser und grüner und zukunftsfitter machen werden, dass wir nur eine Erde haben und so weiter. In einer Stadt, wo es eigentlich keinen öffentlichen Verkehr gibt und nur Benzin- und Dieselfahrzeuge (ich wette, dass der Fahrradweg extra nur für die COP angemalt wurde, Radfahrer habe ich jedenfalls noch keinen gesehen), mit riesigen Ressorts, die eindrucksvoll das alte „Mein Auto fährt auch ohne Wald“-Motto zelebrieren. Naja, wo ich schon einmal hier bin, werde ich einfach weiter berichten.
Denn eigentlich will ich was über die Kohlenstoff-Budgets erzählen. Das ist nämlich schon komisch: Wir reden so oft über das eineinhalb-Grad-Ziel und über das zwei-Grad-Ziel, und noch kein Politiker hat eigentlich erklärt, was es damit wirklich auf sich hat. Was quasi nur die Insider wissen: Es wurde ziemlich genau berechnet, wie viel CO2 wir noch in die Luft blasen dürfen, damit wir diese Ziele auch erreichen.
Also genauer: Das CO2-Budget, Carbon Budget oder Emissionsbudget, ist die Gesamtmenge an CO2 aus menschengemachten Quellen, die noch maximal emittiert werden darf, wenn mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eine globale Erwärmung (1,5° bis 2°) über eine definierte Grenze (bis zum Jahr 2100) hinaus vermieden werden soll. Diese Wahrscheinlichkeit wird von der Wissenschaft immer mit einem 50 und 66 Prozent-Wert angegeben. Je höher die Wahrscheinlichkeit, desto kleiner die restliche CO2-Menge, logisch.
Aber warum wird das nicht von der Politik angesprochen? „Implizit steckt in allen Zielen zur Klimaneutralität dieses Budget ja drin“, erklärt mir Professor Karl Steiniger vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel. „Auch beim effort-sharing der EU, also der Lastenaufteilung unter den 27 EU-Staaten beim Reduktionsziel 2030, spielt das ja auch eine Rolle. Aber Sie haben recht“, sagt Steininger, „auf politischer Ebene wurde das damit noch nie begründet.“
Warum nicht? Aus meiner Sicht, weil das ein Horror für die Politik wäre, wenn wir schwarz auf weiß sehen können, was in unserer Verantwortung ist, oder wenn wir versagen, dass wir Mitschuld haben.
Und was haben wir noch an Budget? Da gibt es nettere und weniger nette Berechnungen. Nach Berechnungen des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change muss die Null-Emission im Jahr 2035 umgesetzt sein, damit das 2-Grad-Ziel noch erreicht werden kann. Um das 1,5 °C-Ziel zu erreichen, hätte die Null-Emission bereits vor 2020 umgesetzt werden müssen.
Blöd gelaufen.
Ein letztes noch: Was gar nicht geht, ist zu sagen: Ist eh alles zu spät, pfeif´ am Klimaschutz. Zu spät für gar keinen vom Menschen verursachten Klimawandel war es ja schon in den 1960er Jahren, als wir erstmals bemerkten, dass sich das Klima wirklich wegen unserem Zutun ändert. Es geht schon lange nur mehr darum, wann wir die Katastrophe wie weit einfangen. Und dafür lohnt es sich auch, von so einer COP inmitten einer künstlichen Potemkin-Stadt zu berichten.
Habe ich schon erwähnt, dass die COP 2023 in Dubai stattfindet?